Kennt ihr Leos Geschichte, die niemals zu Ende erzählt sein wird?

■ Bei den Makkabi Spielen in Amsterdam demonstrieren 1.500 junge JüdInnen, daß der jüdische Sport in Europa lebt

Amsterdam (taz) – „Kennst du schon die Geschichte von dem Makkabi Deutschland Fußballer, der bei der Makkabiade vor zwölf Jahren dem Schiedsrichter eine runtergehauen hat ... oder war es doch vor fünfzehn Jahren ...?“ Leo erzählt. Leo ist Ende Vierzig und schon seit der Neugründung von Makkabi Deutschland im Jahre 1965 dabei. Und derjenige mit den meisten Geschichten auf Lager. „Ach, es geht endlich los ... ich erzähl's dir nachher“, beendet er das Gespräch und stellt sich ebenso wie die anderen Sportler in einer Viererreihe auf. Ungeduld macht sich breit. Erst kommen die Mannschaften aus Österreich, Belgien, England und Frankreich, dann endlich das deutsche Team. „Seit dreißig Jahren wieder Makkabi Deutschland – seid herzlich willkommen in Amsterdam“, schreit der Stadionsprecher. Das Publikum jubelt, die Makkabi-Hymne ertönt, die bereits auf dem Platz stehenden Mannschaften klatschen, die deutschen Sportler winken dem aus allen Teilen Europas angereisten Publikum zu.

Bei der Eröffnungsfeier kommt es zu einer beeindruckenden Szene: In Erinnerung an die elf israelischen Olympiateilnehmer, die bei der palästinensischen Geiselnahme während der Olympischen Spiele 1972 ermordet wurden, erhebt sich das gesamte Stadion zur Gedenkminute. Als Anouk Spitzer (23), die Tochter des ermordeten Sportlers Andre Spitzer, mit der Makkabi-Fackel durch das Stadion läuft(siehe nebenstehendes Interview), hält es viele Sportler nicht mehr auf ihren Plätzen. Sie laufen der jungen Frau hinterher, die das Makkabi-Feuer anzündet.

Seit 1932 findet in Israel alle vier Jahre die „Makkabiade“, das „jüdische Gegenstück“ zu den Olympischen Spielen, statt. Alle zwei Jahre werden in verschiedenen europäischen Städten die Europäischen Makkabi Spiele ausgetragen.

Leo hat Tränen in den Augen. „Ach, es ist nichts“, sagt er und wischt sich mit beiden Händen durch das Gesicht. Ein Makkabianer kennt keinen Schmerz.

Ein Tag später. „Die Jungs sind ganz schön nervös“, wispert Sergio Heer, Trainer der Basketball-Junioren-Auswahl und geht in den Umkleideraum, wo die 14jährigen Sportler ihn schon erwarten. Monatelang wurden auf den Vorbereitungslehrgängen Spielzüge und Taktiken eingeübt. Jetzt kommt es darauf an, ob die wenige Zeit, die zur Verfügung stand, ausreichte, die Spieler zu einem Team zu formen. Schließlich werden die deutschen Sportler aus allen Teilen der Bundesrepublik zusammengetrommelt. Die Jungen stehen von ihren Bänken auf, schlagen die Hände aufeinander und feuern sich mit dem Schlachtruf der Makkabi-Vorväter an: „Makkabi Chai“ – „Makkabi lebt“.

Time-out – Auszeit! Die Franzosen liegen mit zwei Punkten in Führung. Trainer Heer nützt die Pause kurz vor Spielende, um mit seinen Jungs eine letzte, rettende Taktik zu besprechen. Die letzten Sekunden laufen. Ori hat den Ball, schmeißt ihn nach vorne zu Mickey, der bereits unter dem Korb steht und den Ball fängt. Er wirft – daneben. Das Spiel ist aus, die Franzosen haben mit zwei Punkten Vorsprung gewonnen.

Ein Happy-End ist zu diesem Zeitpunkt nicht abzusehen. Und doch: Die Junioren-Basketball- Mannschaft aus Deutschland hat es in den weiteren Runden geschafft, die favorisierten Mannschaften der Türkei und Ungarns zu schlagen und im Halbfinale sogar die Franzosen im Rückspiel auf den vierten Platz zu verweisen. Zum ersten Mal erhält Makkabi Deutschland im Junioren-Basketball die Bronzemedaille.

Essen fassen: Die Schlange ist endlos, schließlich müssen über 1.500 jüdische Sportler aus 26 Ländern verköstigt werden, eine enorme Herausforderung für den holländischen Makkabi-Verband. „Kennst du die Geschichte von der Makkabia vor 17 Jahren ...?“ Leo erzählt und greift zum Pappteller. „Damals hat uns Adidas braune Sportanzüge gesponsert ... das war uns so peinlich, als wir – ach, die Schlange geht endlich weiter, ich erzähl's dir nachher.“

Am Tisch daneben vergleicht die Karate-Mannschaft untereinander die schwer erkämpften Blessuren, und die Volleyball-Mannschaft, die zu siebzig Prozent aus Kontingentflüchtlingen aus der ehemaligen Sowjetunion besteht, verteilt sich über den ganzen Saal. Alte und neue Bekannte aus der alten Heimat werden an den anderen Tischen bei den Mannschaften aus Litauen, Rußland und der Ukraine getroffen – Begegnungen der ganz besonderen Art.

Jetzt aber schnell: Den nächsten Shuttle-Bus – gefahren durch freiwillige Mitarbeiter der Jüdischen Gemeinde Amsterdam – zur Tennishalle. Frauen-Einzel, Frauen- Doppel und Mixed-Doppel. Daniela holt nach einer Woche hartem Kampf dreimal Gold. Shuttle- Bus zum Tischtennis: Die vielen Trainingsstunden haben sich auch für Nadine gelohnt: sie holt Silber. Viermal Gold, dreimal Silber, sechsmal Bronze – in der Gesamtwertung erreicht Makkabi Deutschland den vierten Platz.

„Wartest du auch auf den Shuttle-Bus zum Hotel“, schreit es aus einiger Entfernung herüber. Es ist Leo. „Ganz nebenbei“, sagt er im Näherkommen, „kennst du die Geschichte von der tollen Tischtennisspielerin bei den Makkabi Spielen vor sechs Jahren ... ach, der Bus kommt, ich erzähl's dir nachher.“ So sind Makkabi-Spiele: Faszinierend, spannend und so hektisch, daß ihre Geschichte nie zu Ende erzählt sein wird. Eric Friedler