Die Sicherheit des Gastes zu vermehren

Billiger und aufregender als Kunstmessen in kommunikationsunfreundlichen Großhallen: Künstler entdecken Hotels als Ausstellungsort. Varda Getzow zeigt kleine Drahtinstallationen im schrulligen Londoner „Averad“  ■ Von Dorothee Wenner

So eine Künstlerverschickung ist doch eine schöne Sache: Für ein paar Monate gibt's keine Geldsorgen, oft sind die Ateliers große Klasse und mit etwas Glück erwischt man sogar noch nebenbei eine Stadt, wo man immer schon mal hin wollte. Die israelisch-berlinische Malerin Varda Getzow etwa erfreut sich derzeit eines vom Kultursenat und der Whitechapel Art Gallery finanzierten Stipendiums in London.

Praktisch gesehen dient so ein Auslandsaufenthalt meistens dazu, das eigene Netzwerk um wichtige Adressen zu bereichern, während die künstlerische Auseinandersetzung mit der temporären Heimat nicht jedes Künstlers Sache ist. Halb durch Zufall ist Varda Getzow so eine Ausstellung gelungen, die sich dennoch sehr stark auf den Ort bezieht. Auf der nervigen Suche nach geeigneten beziehungsweise geneigten Galerien am Stipendiumsort kam ihr eine alte Idee wieder in den Sinn: Schon seit langem wollte sie die Verwandlung eines fremden (Hotel-)Zimmers in ein eigenes zum Thema einer Arbeit machen.

Unter dem Vorwand, für einen älteren Freund ein passendes Zimmer zu suchen, machte sie sich auf eine Inspektionstour. Die meisten waren ihr zu renoviert, zu groß, zu luxuriös. Im fünften Stock des „Averad Hotel“ wurde sie fündig: ein winziges Einzelzimmer, Blümchentapete mit beigefarbener Rauhfaser gemischt, hellblaues Waschbecken, wuscheliger, olivbrauner Teppichboden, nicht zu teuer. Dort sitzt sie täglich von eins bis sechs am Fenster und erwartet Besucher.

„Was, das ist alles?“ entfuhr es einer britischen Kunstkritikerin beim Eintreten. Tatsächlich fallen die Ausstellungsstücke nicht gerade ins Auge, und das sollen sie auch nicht. In der Bettnische hat Varda Getzow einige hundert kleine Drahtfigürchen an die Wand getackert. In den Einzelteilen läßt sich das wichtigste Motiv ihrer sonstigen Aquarelle wiederfinden, eine Art Synthese aus Gesichtszügen und Eisenbahnwaggons, die in dieser Formation – ganz abstrakt – an eine Menschenmasse erinnern. Die übereck angelegte „Zeichnung“, wie Varda Getzow ihre leichtfüßigen plastischen Drahtgebilde nennt, wirkt in dieser Umgebung vor allem wie ein merkwürdig unpassendes Möbel, das zugleich eine Maßanfertigung speziell für diesen Raum ist. Ebenso die über die Klotür gehängten Teller aus uraltem Blümchenporzellan. Zum Teil schon etwas kaputt, zum Teil auf der falschen Seite, sind sie an bestimmten Stellen mit Draht umwickelt, in Mustern, die die Sprünge im Lack wiederholen, die mit der Tapete quasi metamorphorisieren oder einfach nur den Tellerrand garnieren.

Dann sitzt vor der Gardine noch eine Puppe, der Varda Getzow einen Drahtbart angelegt hat, und ein schmuddeliger Spielzeugelefant kauert auf dem Bett. Die Arbeiten sind ein kluger Kommentar zu dem von Adorno abschätzig „Hotelbildmalerei“ genannten Genre, dem er eine ähnlich niedere „Dignität“ zusprach wie den deutschen Impressionisten und ihren Darstellungen grüner Wälder. Varda Getzow nun spielt auf irgendwie gemeine Weise mit der Wandteller-Mode und benutzt das Seriell-Funktionale von Hotelzimmer-Dekorationen als effektvollen Bezugspunkt.

Wie gut das Konzept „Hotelzimmer statt Galerie“ funktioniert, haben auch andernorts schon Künstler entdeckt. Parallel zu großen Kunstmessen wie in Chicago oder auch als genuine Veranstaltung etwa im Gramercy Park Hotel von New York werden Einzel-, Doppelzimmer oder auch Suiten für die Präsentation von Kunst angemietet. Das ist nicht nur billiger als Messestände, sondern auch kommunikativer und bietet außerdem einen wohltuenden Sicherheitsabstand zur Galeristenszene.

Schön an der Londoner Hotelzimmer-Ausstellung ist auch, daß man unmittelbar mit Varda Getzows Exil-Situation konfrontiert wird. Ihre Anwesenheit in der intimen Atmosphäre provoziert automatisch Gespräche über das Künstlerdasein in der Fremde, was dadurch begünstigt wird, daß in dieserart Umgebung alle romantischen Schriftsteller-im-Hotel- Phantasien aktiviert werden. Warum soll man überhaupt noch mühsam Galerien suchen, wenn zum Beispiel so ein prächtig künstlich-barockes Hotel wie das „Averad“ ein viel interessanterer Ausstellungsort ist?

Dort lassen sich nämlich ganz nebenbei wunderbare Dinge entdecken, etwa am PC geschriebene Abschleppwarnungen im Goldrahmen, ein stilvolles Selbstmordtreppenhaus, eine laszive Nachmittagsbar und die dreisprachige Sicherheitsinstruktion an der Tür des Ausstellungszimmers:

„Für die Sicherheit des Gastes zu vermehren, dieses Hotel ist mit einem Feuermelder einsetzt. Unterweisung im Fall das Feuer: – Sofort gehe sie heraus dem Gebäude, nicht stocken für etwas! – Gebrauchen sie nicht den Aufzug – wenn der Aufzug halte, vielleicht sie werden in der Falle sitzen! – Versammlen sie vor das Gebäude – um Rechenschaft jeder Mann zu geben! – Wenn sie das Feuer finden – schlagen sie den Feuermelder brechend das Glas des Feuermelderstellers am Nächsten!“