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Nachschlag

■ Astreine Hippiekultur: „Eutopia“ in Potsdam geht zu Ende

Es war schon ein schrilles Völkchen, das Potsdam da in den vergangenen zweieinhalb Wochen heimgesucht hat. Rund einhundert (Lebens-)Künstlerinnen und Künstler aus England, Frankreich, den Niederlanden und den USA waren in die brandenburgische Hauptstadt gekommen, um ihren Teil zum Eutopia-Festival beizusteuern und Potsdam, so Organisator Rob Schrama, „in einen Spielplatz der Phantasie“ zu verwandeln.

In der ersten Eutopia-Woche herrschte allerdings erst einmal nicht unerhebliches Chaos. Manche der seit langem angekündigten Veranstaltungen wurden kurzerhand verschoben, andere fanden gar nicht statt. Das wortgewaltig formulierte, vor Sendungsbewußtsein triefende Konzept des Festivals tat ein übriges, um potentielles Publikum abzuschrecken. Eutopia sollte, so die PR-Prosa, „den Blick auf Leerstellen zukunftsbezogenen Denkens, auf ungelöste Probleme menschlicher Existenz, auf die Globalität der drängendsten Fragen frei werden lassen“. Uff.

Aber dann kam die Sache doch noch ins Rollen. Die sechzig Maler, Musiker, Schauspieler und Gaukler der Amsterdamer Ballon Gezelschap bauten ihr Zeltlager auf der Freundschaftsinsel auf, packten die Trommeln aus und zelebrierten astreine Hippiekultur mit Kinderzirkus und viel Spektakel. Der Künstler Hans Venhuizen, Dozent am Institut für Stadtplanung der Uni Utrecht und als solcher Schöpfer eines Autobahnzubringers in Pimmelform, präsentierte im „Büro für ungefragte Vorschläge“ seine ironisch hintersinnigen Pläne für den Ausbau des „Freizeitparks Potsdam“. Die US-Amerikanerin Alice Guffrey Miller baute zusammen mit Kindern ein buntes, schwimmendes „Wasserhuhn“, das schließlich ein „Ei“ legte, in dem die Utopien und Wünsche der Kinder deponiert worden waren.

Willem de Ridder führte Abenteuerlustige per Walkman („Achtung, vor Ihnen befindet sich eine Wand“) durch einen völlig abgedunkelten Raum. Es gab Klanginstallationen von Bill Fontana (USA), der an der Stelle, an der die barocke Garnisonskirche gestanden hatte, verschiedene Glockenspiele aus ganz Europa erklingen ließ sowie ein (leider schlecht besuchtes) Tischkonzert des Berliners Rolf Langebartels: der Aktionskünstler und Komponist plazierte seine Mitspieler an einen langen Tisch, drückte ihnen selbstgebaute Instrumente in die Hände, und dirigierte nach dem Zufallsprinzip.

Daß Eutopia doch noch ein Erfolg wurde, lag auch an den Reaktionen der Potsdamer. Es hagelte Anzeigen wegen Ruhestörung, die lokale Szene witterte Geldverschwendung und zog sich geschlossen in die Schmollecke zurück. Der Tagesspiegel konstatierte indigniert „viel nackte Haut“ sowie – horribile dictu – sogar „Joints!“. Der bestürzte Reporter sehnte sich das Ende der Veranstaltung offenbar so heftig herbei, daß er die abschließende Pulsar Rave Party im Waschhaus fälschlicherweise vom heutigen Mittwoch (Beginn 22 Uhr) auf den Dienstag vorverlegte. Kurzum: Ein Festival wie Eutopia sollte es in Potsdam von nun an jedes Jahr geben. Ulrich Clewing

„Pulsar Rave Party“ zum Abschluß von Eutopia, heute, 22 Uhr, Waschhaus Potsdam, Schiffbauergasse 1. Die für 20 Uhr angekündigte Abschlußveranstaltung fällt aus.

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