Ruhiger Redefluß

■ Warum Sender wie n-tv und CNN zur Geschwätzigkeit neigen und ihre Seher immer desinteressierter werden

Am Anfang war das Wort. Jahrtausende später folgt alle Welt der Erkenntnis, ein Bild sage mehr als tausend Worte und gestaltet beispielsweise städtische Orientierungshilfen in Form von eingängigen Piktogrammen.

Einzig jenes Medium, das doch prädestiniert ist, als „Fenster zur Welt“ seine Kundschaft mittels Bildmaterial zu informieren, hat den Auftrag falsch verstanden, stets auch unterhaltend aufzutreten: Wenn es informieren will, neigt das Fernsehen zur Geschwätzigkeit. Gerade im Fall der Nachrichtensender n-tv und CNN wird das besonders deutlich: Hier kommen tausend Worte auf ein Bild.

Das erstaunt vor allem bei CNN. Schließlich treten Ted Turners Gefolgsleute gern so auf, als hätten sie das Nachrichtenfernsehen erfunden. Es soll auch gar nicht verschwiegen werden, daß sich ARD und ZDF keineswegs leichter damit tun, trockene Tagesthemen mit ansprechendem optischem Material zu illustrieren. Bei n-tv wird diese Verlegenheit ungleich deutlicher. Das liegt natürlich daran, daß n-tv ständig für Bilder sorgen muß. Daher machen die Reporter des Berliner Senders den Eindruck, als müßten sie sich andauernd für ihre Einfallslosigkeit entschuldigen.

Man braucht gar nicht diverse Semester Wahrnehmungspsychologie studiert haben, um zu wissen: Der Mensch (also auch der Fernsehzuschauer) nimmt seine Umwelt zum größten Teil (78 Prozent) über das Auge wahr. Fürs Ohr bleibt da kaum noch was übrig (13 Prozent). Das Ohr aber ist das Sinnesorgan, dem n-tv und CNN sich vorrangig widmen. Mit doppelt negativem Effekt: Ein Großteil des Gesendeten versendet sich, weil kaum jemand die akustische Informationsmenge so rasch erfassen kann. Mit zunehmender Dauer wird das Publikum immer unbeteiligter.

Zur klassischen Text/Bild- Schere kommt die Kopf/Bauch- Schere: Es gibt nicht nur keine Verbindung zwischen Optik und Akustik, es gibt auch keine Verbindung zwischen Nachricht und Rezipient. Selbst wenn er willig ist, dem Nachrichtenblock zu folgen, neigt er zu emotionaler Teilnahmslosigkeit.

Ist die Nachrichtenwelt schlechter als die Wirkliche?

Demgegenüber steht das Bemühen der TV-Sender, sich erstens im Dschungel der Kanäle zu behaupten, zweitens bis zum Empfänger durchzudringen und drittens dort ein bestimmtes, jederzeit wiedererkennbares Image zu entwickeln. Gleichzeitig weiß man natürlich in Berlin (n-tv) und Atlanta (CNN) darum, daß man den eigenen Ansprüchen gar nicht gerecht werden kann: Als Medium für Hintergrundinformationen ist News-TV den Tages- und Wochenzeitungen sowie den Zeitschriften eindeutig unterlegen (jedenfalls, was die Rezeptionsgewohnheiten angeht).

Also baut man vor allem auf Schnelligkeit, was der Nachrichtenbranche den Vorwurf eingebracht hat, sie betreibe Stichflammenjournalismus und Fallschirmberichterstattung: Die Reporter lassen sich zu allen Brennpunkten des Weltgeschehens einfliegen.

Wenn Fernsehzuschauer der monotonen Folge von Wörtern lauschen, werden sie sich all diese Erkenntnisse allerdings kaum vergegenwärtigen. Laute und Zeichen reihen sich ein in den langen, ruhigen Bilderstrom, dem das Publikum mit meditativer Gelassenheit beiwohnt. Das Gros der Zuschauer folgt einem rührseligen Heimatfilm mit größerer Anteilnahme als den Berichten über das Elend in der sogenannten Dritten Welt. Die Gründe sind womöglich auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen, nämlich auf die Zunahme der Plakativität. Gerade kommerzielle Sender befleißigen sich immer stärker der drastischen Sprachbilder, die den amerikanischen Nachrichtenstil prägten.

In Deutschland schreckten ARD und ZDF lange vor Eindeutigkeiten zurück, weil man dies als unangebrachte Dramatisierung empfand – sieht man von Ausreißern wie Gladbeck ab. Privates Fernsehen hingegen begnügt sich längst nicht mehr nur damit, die Dinge beim Namen zu nennen, sondern pflegt gerade in der Wortwahl mit Hingabe die vermeintlich quotenträchtige Überzeichnung. Dennoch sind auch in den etablierten Nachrichtensendungen gewisse Infotainment-Ansätze nicht zu übersehen.

Zudem sind viele Menschen – und nicht nur ältere – überzeugt, die Welt sei schlechter, als sie tatsächlich ist. Auch dies ist womöglich die Folge der Boulevardisierung von Nachrichten, die am Ende dazu führt, daß viele dem Fernsehen immer weniger glauben. Das gilt vielleicht erst recht für jene Sender, die sich der Wirklichkeit verschrieben haben. Da ist es nur konsequent, wenn eine „Anchorwoman“ von CNN Cassandra heißt. Tilmann P. Gangloff