Frankreich lethargisch

Trotz aller Proteste sind die Atomtests kein Thema  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Ob „es“ wirklich sein muß, weiß der Winzer aus dem Burgund nicht. Ob es gefährlich ist, auch nicht. Aber daß es Nachteile bringt – das spürt er bereits an der eigenen Auftragslage. Sein vom Großvater geerbtes Weingut sieht angesichts der Boykottbewegung im Norden Europas und in Übersee düsteren Zeiten entgegen.

Ein dänischer Großhändler – jahrelang ein guter Kunde – war der erste, der dem Winzer mitteilte, daß er in diesem Jahr auf seinen roten Schloßwein im Sortiment verzichten werde. Der Grund: Die Wiederaufnahme der französischen Atomtests im Pazifik. „Ich war froh, als Mitterrand 1992 mit den Tests aufgehört hat“, sagt der Winzer, „aber offensichtlich war das zu früh. Warum sonst würde Chirac wieder anfangen?“

Der Burgunder besucht Weinmessen in der ganzen Welt und exportiert einen großen Teil seiner Produktion. Sein Metier sei der Wein, von Politik verstehe er wenig, sagt er. Bei aller Skepsis gegenüber Chirac vertraut er doch auf dessen staatsmännische Qualitäten. „Euch Westdeutsche hat man doch auch nicht gefragt, ob ihr die Wiedervereinigung wolltet“, gibt er zu bedenken.

Beinahe zwei Monate nachdem Frankreichs Präsident bekanntgegeben hat, daß er zwischen September 95 und Mai 96 acht weitere Atombomben im Pazifik zünden werde, hält sich die französische Öffentlichkeit weithin mit Kritik zurück. Genau wie die handverlesene Journalistenschar, die bei jener Pressekonferenz am 13. Juni – es war Chiracs erste als Präsident – auf kritische Fragen zur Notwendigkeit der Bombe verzichtete. Ausgehend von den pazifischen Inseln hat sich inzwischen weltweit eine Protestbewegung entwickelt. Vielerorts – darunter in den wichtigen Märkten Japan und Deutschland – werden französische Produkte boykottiert. Doch in Frankreich herrscht Lethargie. Demonstrationen gegen die Tests sind – wenn überhaupt – winzige Veranstaltungen.

Die kleine Umweltpartei „Les Verts“ hat einen Bus losgeschickt, der im ganzen Land Unterschriften gegen die Tests sammelt. Bis gestern hatte er nach Auskunft der Partei 25.000 Namen zusammen. Die kleine Sektion von Greenpeace Frankreich konzentriert alle Kräfte auf die Bootstouren nach Moruroa, und „Robin Wood“ organisiert eine Ausstellung mit Fotos von Atompilzen. Aber damit hat sich der Protest auch schon. Die ansonsten so eloquenten französischen Intellektuellen schweigen zu den Tests. Oder sie kritisieren die ausländischen Protestbewegungen, wie der Philosoph André Glucksmann, der in Interviews erklärt, die Deutschen sorgten sich mehr um die Fische im Pazifik als um die Kinder in Bosnien.

Sprecher der beiden großen Oppositionsparteien kritisierten im Juni die Wiederaufnahme der Tests. Kommunistisch regierte Gemeinden veröffentlichen seither Aufrufe zum Atomteststopp. Sozialisten sprechen von einer „Entscheidung gegen die Geschichte“. Aber ein klares Wort gegen die Force de Frappe fand die PS nicht. Ihre Führer fordern zwar ein Referendum über Frankreichs atomare Bewaffnung, doch welchen Ausgang sie sich dabei wünschen, sagen sie nicht. „Nach 14 Jahren aggressiver Atompolitik sind die Sozialisten nicht besonders glaubwürdigt“, sagt der „Robin Wood“- Mitarbeiter Jacky Bonnemain.

Aktiv geworden sind hingegen der Elysée-Palast und das Verteidigungsministerium. In den letzten Wochen luden sie zahlreiche Journalisten – allerdings nicht die taz – zu Kurzbesuchen auf die französischen Pazifikatolle ein. Diese beim französischen Militär ganz ungewohnte Transparenz führte zu außergewöhnlichen Berichten. Ein Rundfunkjournalist pries die niedrige Radioaktivität auf Moruroa, die „zehn mal unter der radioaktiven Strahlung in der Bretagne liegt“. Andere Kollegen schwärmten von dem klaren Pazifikwasser und dem beschaulichen Leben des französischen Militärpersonals.

Auf eigene Kosten freilich schickten die Medien niemanden in die Region. Auf Reportagen aus Australien und Neuseeland, wo sich heftiger Protest gegen Paris rührt, müssen die französischen Leser verzichten. Immerhin aber kam bei einer Meinungsumfrage vor zwei Wochen heraus, daß die Popularität Chiracs seit den Wahlen im Mai um zehn Punkte gesunken war. Grund: die Atomtests.

Ein Referendum über die französische Atompolitik wird dennoch nicht stattfinden. Wie ein Sprecher des Elysée-Palastes erklärt, wäre das auch mit der Verfassungsreform vom Montag nicht möglich. An ein Aussetzen, oder auch nur eine Reduzierung der Zahl der Atomtests denkt Präsident Chirac auch nicht. „Er wird so viele Bomben testen, wie er angekündigt hat“, sagte sein Sprecher gestern.

Französische Atomtestgegner beobachten die internationale Boykottbewegung mit gemischten Gefühlen. Greenpeace-Sprecher Jean-Luc Thierry hält einen selektiven Boykott für sinnvoll. Er empfiehlt Aktionen gegenüber Air- France-Flügen, und Aufklärungszettel an Air-France-Passagiere. „Robin Wood“-Sprecher Bonnemain hält konkreten Widerstand gegen die Partner der französischen Atomlobby für viel effizienter: „Jede Woche kommen zwei Waggons mit deutschem Atommüll in der Wiederaufbereitungsanlage von La Hague an“, erinnert er. In La Hague entsteht bei der Bearbeitung unter anderem Plutonium, das sowohl für den Schnellen Brüter, als auch zur Atombombenproduktion tauglich ist. Der Boykott sollte sich deswegen gegen die deutschen Partner des französischen Atomunternehmens Cogema richten – darunter die Preussen-Elektra, die Bayernwerke und die RWE. Doch Bonnemain weiß auch, warum ein derartiger Schritt viel schmerzhafter wäre: „Dann blieben die Deutschen auf dem Atommüll sitzen, den keiner will.“