Wer verriet den Prager Frühling?

■ In Tschechien sollen 30 KP-Funktionäre wegen Hochverrats angeklagt werden – unter ihnen der EX-Partei Chef Jakeš

Prag (taz) – Nun sind sie bekannt, die ersten Namen derjenigen, die sich für ihre Beteiligung an der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 vor Gericht verantworten sollen. In den letzten Tagen war an der Moldau viel darüber spekuliert worden, gegen wen die „Behörde für die Dokumentation und Aufklärung der Verbrechen des Kommunismus“ ermittelt, denn diese wollte die Namen wegen verfahrungsrechtlichen Gründen nicht bekanntgeben. Zwei der Angeklagten gingen dann jedoch selbst an die Öffentlichkeit: Der 72jährige Miloš Jakeš und der 71jährige Karel Hoffmann teilten der Nachrichtenagentur ČTK mit, daß gegen sie „antikommunistische, inquisationsähnliche“ Schritte eingeleitet worden wären, mit denen die regierende konservative Koalition ein Jahr vor den Parlamentswahlen von den wirtschaftlichen Problemen des Landes abzulenken versuche. Den Vorwurf, Hochverrat begangen zu haben, wiesen beide zurück.

1968 war Jakeš stellvertretender Innenminister und gehörte der konservativen, reformfeindlichen Gruppierung innerhalb der KP der ČSSR an. Nach der Invasion leitete er die Säuberung der Partei und wurde so zu einem der führenden Politiker der sogenannten „Normalisierung“. 1987 wählte die Partei Jakeš zu ihrem Generalsekretär, ein Amt, das er erst während der Revolution 1989 verlor. Hoffman hatte 1968 eine leitende Position im Fernmeldewesen inne und soll den Sowjets dessen Kontrolle ermöglicht haben.

Insgesamt rechnet man in Prag damit, das gegen rund 30 führende KP-Funktionäre Anklage wegen ihrer Beteiligung am Einmarsch der Truppen der Warschauer- Pakt-Staaten erhoben wird. Ihnen wird vorgeworfen, die Verfassung verletzt und so den Tod von Dutzenden von Menschen verursacht zu haben. Nicht ganz klar ist jedoch bisher, auf welche konkreten Grundlagen die Ermittlungsbehörden ihre Anklage aufbauen. Mitgeteilt wurde lediglich, daß einige der Beschuldigten den „Hilferuf“, mit dem der konservative Flügel der KPČ die „sozialistischen Brüder“ ins Land holte, initiiert haben sollen. Für Verwirrung sorgte zudem, daß auch Zdeněk Mlynář zu den Beschuldigten gehören soll. Mlynář war in den sechziger Jahren einer der „Vordenker“ des „demokratischen Sozialimus“, während der Normalisierung emigrierte er nach Österreich. Nicht zu den Angeklagten zählt dagegen Vasil Bilak, der bekannteste Gegenspieler von Alexander Dubcěk. Wie der „Vater“ des Prager Frühlings ist auch Bilak Slowake, nach slowakischem Recht ist eine Anklage wegen Hochverrats aber nicht möglich. Der Zeitpunkt, zu dem die Staatsanwaltschaft formell Anklage erheben wird, steht noch nicht fest. Im Falle einer Verurteilung drohen den Beschuldigten lebenslange Haftstrafen.

In ersten Reaktionen wandten sich erwartungsgemäß die Nachfolgeorganisationen der KPC gegen die Anklage. Durch diesen „bedauernswerten Vorgang“, so die „Partei der demokratischen Linken“, versuchten die rechten Kreise aus den „tragischen Ereignissen von 1968 Kapital zu schlagen“. Die Sozialdemokraten und die konservative „Bürgerallianz“ halten die Hochverratsanklage dagegen für berechtigt. kb/her