Sanssouci
: Rundumschlag

■ Wohnkultur, 15. und letzte Folge: „Buddhismus“ auf Umwegen oder: Medialer wohnen

Yin und Yang allein zu Haus Foto: Groß

Wohnen scheint für die meisten AutorInnen dieser Serie etwas Anekdotisches, Episodisches, recht flockig Erzählbares zu sein – eine Einstellung, die ich mitnichten teile. Zwar haben vier Jahre Neukölln den unvermeidlichen Kranz von Begebnissen rund um die eigene Wohnerei geflochten – und auch ich gebe zu Nutz und Frommen von Abendgesellschaften gern die eine oder andere Blüte daraus zum besten –, doch will sich mir das eigentliche Wohnen mehr in der Wiederholung, im Alltag mitteilen. Und der ist bekanntlich numinos – wenn nicht enigmatisch! Wohnen ist eine (Re-)Produktionsform, die analog zum psychischen Unbewußten verläuft und sich nur an ganz bestimmten Punkten mit der Sprache kreuzt.

Besonders intensiv leuchtet das Gefühl zu wohnen an Morgenden auf, an denen mein Blick beim Aufwachen an der gegenüberliegenden Wand nichts sieht als etwas Sonne auf der weißen Wand. Das gefällt mir, weil ich nicht sofort irgendwelche Geheimbotschaften entschlüsseln muß, die das Mobiliar für mich bereithält – noch bevor ich mich von einem schläfrigen Troll in ein klares, kühles Gedankenwesen verwandelt habe. Wohl deshalb und weniger aus Geldmangel habe ich auf Einrichtungsgegenstände weitgehend verzichtet. Auch Bilder an den Wänden gibt es (fast) nicht. Das alles ist aber weniger Produkt eines organisierten „Geschmacks“, sondern, wenn ich es recht bedenke, eine komplexe Antwort auf die Überdeterminiertheit der elterlichen Lebensverhältnisse, gepaart mit langjährig erworbenen Spleens und Idiosynkrasien. Nennen wir's „Instant Karma“. Oder „Buddhismus“ auf Umwegen.

Dem Bilderverbot an den Wänden wuchert allerdings von unten sein eigenes Gegenteil entgegen: Bücher, Zeitschriften, Videos, Loseblattsammlungen, vor allem aber Tonträger unterschiedlicher Machart, Gestaltung, Formate und Technologie- Zeitalter, die ich verzweifelt auf Kniehöhe zu halten versuche – was, vor allem seit meiner dritten Neuköllner Wohnung, immer häufiger mißlingt. Ein Waten in Fluten, ein aussichtsloser Kampf, der immerhin die Idee befördert, gerade diese Gegensätze hielten die Wohnung in Spannung, es handle sich sozusagen um ein medial-dialektisches Wohnen, das das Meer aktueller Bilder und Töne ohne allzu große Eingriffe durch herumhängende Geschichte an die eigenen vier Wände wirft. Wer will schon Erinnerungen, wenn man die Stille immer wieder neu möblieren kann?

Tatsächlich hat mich gewundert, wie wenig beim Thema „Wohnkultur“ von technischen Medien die Rede war, wo ich selber es doch unplugged nur schwer aushalte. Was ist mit dem Transistor im Bad, dem bösen/lieben/stummen/viel zu schrillen Telefon (dessen schnellamplitudiger „Vogelstimmen“-Sound – es handelt sich um ein auf 4 hochgepitchtes „Signo 2“ – im übrigen gut zu Trance und Ambiente paßt). Und denkt denn keiner an die good vibrations der Waschmaschine?

Schon als Kind klang mir die Angabe „Hilversum“ auf der beleuchteten Skala des Radiogerätes höchst poetisch, und auch die Zweizimmerbutze, in der ich heute lebe, war so einigermaßen erst Heimstatt, als das Licht der Fernsehbildröhre mir zum erstenmal in der Brechung des Holzfußbodens entgegenschimmerte. Ähnlich traulich das Verhältnis zum Computer. Das Ding ist Schrott, 20 Megabyte, noch ein sogenannter XT, aber vor allem in Kombination mit dem Gebläse der Kühlung kann die Akkumulation von bernsteinfarbenen Schriftzeichen auf dem Bildschirm eine enorme Traummaschine sein. Schirm & Chiffre – auch eine Art von Schöner Wohnen.

Überhaupt hat das Glimmen von Leuchtdioden und Multifunktionsanzeigen ja etwas ungeheuer Laterna-magica-artiges. Nicholson Baker hat das mal anhand eines Tuners beschrieben, in den er eine ganze Weile verknallt war. Er stellte sich vor, die Megahertzstriche seien die Skyline einer Stadt bei Nacht, er selbst cruise mit dem Daumen am Senderknopf über den Hauptboulevard, bis die richtige Abzweigung kommt, „und dann gleitet man hinab in das fruchtbare Tal des Senders, und es breitet sich unter einem aus, in Stereo, mit einer ganzen Kette verschwommener Mittelgründe“.

Diese Beschreibung läßt vermuten, daß im medial-dialektischen Wohnen auch enorme erotische Motive stecken – von denen allerdings hier nicht zu handeln ist. Zu polymorph das System der Metaphern und Versorgungskreisläufe, zu unerzählbar seine Stories. Manchmal, wenn ich nachts nicht schlafen kann und Leute draußen lärmen, habe ich jedoch das Gefühl, das Treppenhaus ginge direkt durch mein Rückenmark. Thomas Groß