"Blavatzkys Kinder" - Teil 17 (Krimi)

Teil 17

Ein anderes Mal erinnerte er sich an eine kleine Küche mit einem Tisch und an eine Wachsdecke mit Blumen. Er sah das vertraute Gesicht einer Frau, die sich über ihn beugte. Wenn er sie genauer betrachten wollte, verschwand sie. Nur sein zärtliches Gefühl blieb.

Eine Szene tauchte oft von allein in seinem Kopf auf und war deutlicher als alle anderen. Er haßte sie, denn sie machte ihm angst und zerstörte alles. Er war allein auf der Straße, kickte seinen Ball und wußte, daß er eigentlich nach Hause gehen sollte. Er drehte sich um, als er den überdrehten Motor eines großen Wagens hörte. Das Auto hielt, ein Mann sprach ihn lächelnd an und fragte ihn, ob er sich das Auto einmal ansehen wollte. O ja. So ein tolles großes Auto hatte er noch nie gesehen. Der Mann machte ihm die Tür auf, und plötzlich hatte er einen süßlichen Geruch in der Nase, und alles wurde schwarz.

* * *

Der Bericht vom Chef der argentinischen Sektion, Luis Soto, ödete Deger an. Doch seine Einheit galt als eine der erfolgreichsten. Erfolgreich, was den Produktionsumfang anging.

Soto kooperierte geschickt mit Kleinkriminellen. Das war seine Spezialität. Er beschaffte sich seine Ware ausschließlich aus dem Land. Er wählte Abschnitt für Abschnitt aus und bereitete die „Ernte“ vor. In seiner Sektion arbeitete ein Dutzend Gruppen mit straff organisierten Mitgliedern. Darunter, wie Deger aus einem seiner Berichte erfahren hatte, ehemalige Militärs und Angehörige von Todesschwadronen.

Er hatte ihnen verboten, ihren politischen Hobbys nachzugehen. Aus Sicherheitsgründen. Das Risiko, daß einer entdeckt wurde und die Organisation aufflog, war zu groß.

Jede der zwölf Gruppen betreute einen größeren Landstrich. Jede hatte einen Bus mit einem Ärzteteam. Die Fahrzeuge enthielten einen perfekten kleinen Operationsraum. Ihre Außenverkleidung simulierte einen luxuriösen Reisebus mit Klimaanlage, Bar und bequemen Schlafsesseln. In jeder Region heuerte der zuständige Einsatzleiter Kleinkriminelle an, die sich untereinander nicht kannten. Niemand wählte dieselben „Erntehelfer“ ein zweites Mal aus.

Diese „Erntehelfer“ erhielten den Auftrag, in den Dörfern jeweils nicht mehr als ein einziges Kind zu entführen. Die Kinder wurden geraubt, wenn sie allein spielten oder nach Hause trödelten – eben wenn sie allein waren. Nie war ein Entführungsversuch schiefgegangen. Die Kinder wurden betäubt und in den Kofferraum des Wagens der „Erntehelfer“ geladen. Unauffällige Öffnungen sorgten für genügend Sauerstoff. Die Kinder wurden zu einer vereinbarten Stelle gebracht, und ein Mitglied der Organisation übernahm die Beute.

Die „Erntehelfer“ wurden bezahlt und verabschiedet. Sie bemühten sich immer, besonders hübsche Kinder zu beschaffen, denn man hatte ihnen weisgemacht, diese Kinder würden einige Tage reichen ausländischen Kinderliebhabern die Zeit versüßen, dann unversehrt in ihre Dörfer zurückgebracht und viel Geld für ihre Familien mitbringen, so daß eigentlich niemandem ein echter Schaden zugefügt würde. Die „Erntehelfer“ glaubten die Märchen nur zu gern – jeder Skrupel hätte ihre Einnahmen gefährdet.

* * *

Der dünne Mann mit dem scharfgeschnittenen Mund und der Kleine mit dem Kugelbauch beobachteten ihn. Er verließ gegen zwanzig Uhr das Haus. Er lebte allein. Das Licht in seiner Wohnung war ausgeschaltet. Die Haustür stand offen – ein kooperatives Haus. Die beiden knackten Pauls Wohnungstür ohne sichtbare Spuren. Den Computer fand Fred schnell. Gustav hielt Wache. Fred war der Spezialist. Er installierte die externe Festplatte und kopierte sämtliche von Paul gespeicherten Informationen auf den Datenträger, den er mitgebracht hatte. Er ließ ein Hilfsprogramm laufen und löschte jede Datei auf dem fremden Computer. Mit keinem Trick der Welt würde dieser Antifa- Drecksack noch Reste seiner Arbeit auf seinem Rechner finden. Er fand die externe Festplatte in einem Schrank seines Opfers und verfuhr auf die gleiche Weise. So war auch das Backup hinüber. Er zerstörte darüber hinaus alle Disketten, die er fand, schaltete den Computer aus, löste die Anschlüsse und verpackte seine Festplatte. Dann durchforstete er Pauls Schreibtisch, seine Schubladen, Bankauszüge, persönlichen Unterlagen, Korrespondenzen. Was ihn interessierte, stopfte er in seinen Pilotenkoffer. Er überprüfte die Kommode, den Schrank im Schlafzimmer, den im Bad und einen in der kleinen Küche.

„Das war's, Gustav.“

Gustav liebte diesen Abschnitt der Arbeit.

Fortsetzung folgt