Statt Multikulti „deutsche Kulturgemeinschaft“

■ Hessens CDU bereitet sich ganz progressiv auf das ab dem 1. 1. 96 überall geltende kommunale Wahlrecht für EU-Bürger vor und warnt vor populistischen Sprüchen

Wiesbaden (taz) - Früh übt sich, was eine multikulturelle CDU werden will. Während in Bonn, Frankfurt und anderswo der konservative Block um den Bundesinnenminister Kanther in Sachen Kurden die Muskeln spielen läßt oder für Flüchtlinge und MigrantInnnen ohne sicheren Aufenthaltsstatus tiefgreifende Sozialkürzungen aus der Schublade zieht, denken schwarze Politstrategen aus Hessen schon an die Zeit danach. Die CDU-Fraktion im Wiesbadener Landtag hat einstimmig ein „Ausländerpolitisches Positionspapier“ verabschiedet, das für christdemokratische Verhältnisse ungewohnte Töne anschlägt. Und das – man höre und staune – sogar mit dem Segen des hessischen CDU-Landesvorsitzenden namens Manfred Kanther.

Ein Datum naht bedrohlich, der 1.Januar 1996. Spätestens ab dann dürfen EU-MigrantInnen überall in Deutschland an die Wahlurnen. In einigen Bundesländern, so in Berlin, gilt die EU-Richtlinie schon ab kommender Wahl im Oktober. In manchen Städten wird es mehr als fünf Prozent neue Wahlberechtigte geben. Wo Magistratsmehrheiten auf der Kippe stehen, können die MigrantInnenstimmen zum Zünglein an der Waage werden. „Dieses Wählerpotential darf nicht verschlafen werden“, sagt Volker Bouffier, innenpolitischer Sprecher der Wiesbadener CDU- Fraktion und geistiger Vater des Papiers. Und er warnt seine Parteifreunde, vor diesem Hintergrund künftig allzusehr durch populistische Zitate zur Ausländerpolitik aufzufallen. Sie könnten sich, so Bouffier zur taz, in den Kommunen schnell zum Bumerang entwickeln.

Unter dem Leitmotiv „Integrationskraft stärken“ wird den eigenen CDU-Mitgliedern im Papier multikulturelle Toleranz anempfohlen. Denn „nur vor dem Hintergrund einer allgemeinen ausländerfreundlichen Haltung und Praxis“ sei ein Herantreten an die EU- BürgerInnen als WählerInnen und KandidatInnen möglich. Die CDU müsse sich an der Basis für MigrantInnen öffnen, „... wenn man sich gegenseitig kennt, kann man Vorurteile und Barrieren überwinden“.

Wie der Teufel das Weihwasser vermeiden die herrschenden Christdemokraten bislang Worte wie „Multikultur“ und „Migranten“. Und so ist in den ansonsten bahnbrechenden Beschlüssen aus dem Rhein-Main-Gebiet noch immer von „ausländischen Mitbürgern“ die Rede statt von EinwanderInnen. Sensible nationalistische Geister sollen intern offenbar nicht gleich vor den Kopf gestoßen werden. Um dem geballten Unmut der Rechtsaußen-CDUler zuvorzukommen, wird eine weitere Konzession gemacht. Aus „Rücksicht auf die Überfremdungsängste der deutschen Bürger sowie Integrationsschwierigkeiten in den Ballungsräumen“ müßten die Bemühungen fortgesetzt werden, „den Zuzug zu begrenzen“. Der Ausländeranteil durch hohe Geburtenrate, Familiennachzug, Niederlassungsfreiheit und Flüchtlinge erhöhe sich trotzdem. Dem müsse, mahnt Bouffier gleichzeitig an, Rechnung getragen werden.

Für den Begriff der multikulturellen Gesellschaft steht im Papier eine neue Wortschöpfung, die der „deutschen Kulturgemeinschaft“. Ihr wird die Funktion eines sich wandelnden und mit der Migration verändernden „Integrationsrahmens“ zugeschrieben. Indirekt wird damit erstmals von Unionsseite offiziell zugegeben, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist. Schmackhaft gemacht werden soll der Basis die neue Linie in der „Ausländerpolitik“, die längst eine „InländerInnenpolitik“ geworden ist, mit quasi-bündnisgrünen Erkenntnissen.

Da eine Veränderung des Identitätsgefühls weder menschlich noch juristisch erzwungen werden könne (altes Einbürgerungskonzept nach dem Blutsprinzip), seien „verschiedene Formen des Zusammenlebens mit einer allmählichen Anpassung vorgezeichnet“. Assimilation allein könne für die Zukunft also kein Patentrezept sein, erklärt Volker Bouffier. Ausländerproblemen müsse verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet werden, wolle man den sozialen Frieden in der Bundesrepublik erhalten.

Anders als etwa in Bayern, spricht sich das migrationspolitische Grundsatzdokument - wie auch der CDU-Landesvorstand unter Kanthers Vorsitz - für die von der rot-grünen Landesregierung beschlossene Ausweitung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger auf kommunale Spitzenämter aus. Unionsbürger, ob Portugiesen oder Franzosen, sollen genauso Bürgermeister, Land- oder Kreisräte werden können wie deutsche Staatsbürger auch. Franco Foraci