Nie mehr Regionalliga

Aufsteiger VfB Lübeck hat vor dem ersten Spieltag der zweiten Bundesliga nur ein Ziel: den Klassenerhalt  ■ Von Jan Feddersen

45 Grad in der Sonne herrschen am Nachmittag, als Tormann Maik Wilde wieder und wieder die hohen Bälle seines Übungsleiters fangen muß. Als der Keeper einen Ball trotz aller Mühe dennoch hinter sich ins Tor läßt, schnaubt der Schütze giftig. Wilde guckt und springt die nächsten zehn Minuten noch entschiedener im Strafraum herum, um ja keine weitere Rüge erteilt zu bekommen. Michael Lorkowski, der Trainer, sieht mit seinen freakig-langen Haaren nur antiautoritär aus, in Wirklichkeit, da sind sich die Spieler einig, ist er „ein harter Hund“, wie auch ein Fan am Rande voller Hochachtung bemerkt.

Lorkowski muß man sich als die Amateurausgabe Volker Finkes vorstellen: Wie der Erfolgscoach aus Freiburg stammt auch Lorkowski aus dem Hamburger Raum. Lorko, so die Namensliebkosung durch alle Boulevardblätter, hat das Kunststück fertiggebracht, eine schleswig-holsteinische Mannschaft in die Bundesliga zu bringen: Der VfB Lübeck schaffte dies am letzten Spieltag, als er durch ein 6:0 über den TuS Hoisdorf noch den bis dahin führenden VfL Osnabrück abfing. Lübeck stand daraufhin kopf. Und weil Lorkowski seine ersten Meriten beim FC St. Pauli sammelte, veranstalteten Fans und Funktionäre an der Lübecker Lohmühle – wie das Industriegebiet heißt, wo auch das Stadion des VfB liegt – eine Jubelfeier, die stark an die des FC St. Pauli erinnern sollte. Es wurde geschwelgt und gefeiert, das standesgemäße Lied hieß „Nie mehr Regionalliga“.

Als Lorkowski am 15. März 1994 zum VfB Lübeck kam, war er gerade beim Wuppertaler SV gefeuert worden. „Lust hatte ich ja keine, in die Regionalliga zu wechseln“, sagt er. Zudem stand der VfB damals auf einem Abstiegsplatz: „Das Risiko war ziemlich groß, plötzlich viertklassig zu werden.“ Nach einer Begutachtung angelegentlich eines Spiels des VfB beim ebenfalls vom Abstieg bedrohten VfL Hameln sagte er sich: „Das war so ein Schrott, den die sich da zusammengespielt haben, daß ich dachte, da müßte doch was zu machen sein.“ Und ohnehin sei ihm langweilig ohne Fußball geworden. Resultat seiner Arbeit: Rang 9 in der Oberliga Nord.

Ein Jahr darauf gab es nochmals ein Zwischenergebnis, das seinen Ehrgeiz beflügelte: „Da war Herzlake eindeutig Tabellenführer. Und ich dachte, die müßten doch auch noch zu packen sein.“ Es gehört offenbar zu seinen Vorzügen, seine Spieler auch für abstruse Ziele – immerhin tummelten sich die Lübecker während der letzten zehn Jahre meist in der vierten Liga – zu motivieren. Das Klassenziel, „und dabei stapele ich nicht tief“, sei der Klassenerhalt. Die Vorbereitungsspiele geben ihm recht: Selbst gegen den Regionalligisten Tennis Borussia gab es eine Niederlage, trotz prominenter Verstärkungen nach dem Aufstieg – durch André Golke beispielsweise, dem Trainer noch aus Tagen beim FC St. Pauli bekannt. Den Sinn schwerer Trainingsspiele kann der Coach nicht hoch genug einschätzen: „Was nützen mir 12:0-Dinger gegen Kneipenmannschaften – um dann von der Wirklichkeit eingeholt zu werden?“

Lorkowski nennt das, durchaus erfolgsorientiert, „kleinmachen“: „Nur so kann ich die Leute dazu bringen, mehr zu bringen, als sie sich zuerst selber zutrauen.“ Morgen gastiert der VfB Lübeck zum Zweitligaauftakt beim Mitaufsteiger Arminia Bielefeld, selbst bestückt mit zahlreichen Erstliga-erfahrenen Spielern wie Uli Stein, Fritz Walter, Thomas Stratos und dem beim Hauptsponsor sensationell erfolgreich als Küchenmöbelverkäufer tätigen Thomas von Heesen, der allerdings immer noch verletzt ist. Der Trainer nimmt auf heimliche Träume der Anhängerschaft, doch bitte gleich mit dem Aufsteigen weiterzumachen, keine Rücksicht: „Ein Unentschieden wäre toll. Bielefeld ist stark. Das muß man aber wissen.“

Während die Westfalen mit der geballten Sponsorenkraft des örtlichen Mittelstandes auflaufen, wird der VfB Lübeck mutmaßlich ohne Trikotspender spielen. Wer das bis zum Anpfiff noch ändern will, ist in der deutschen Fußballszene auch kein Unbekannter: Helmut Schulte, Lorkowskis alter Freund aus seligen Tagen am Millerntor, hat sich überreden lassen, in der alten Hansestadt als Manager zu arbeiten. „Zuerst habe ich zu Hause gearbeitet, weil ich dort besser ausgerüstet bin, als die Lübecker Geschäftsstelle war.“

Inzwischen gibt es mehr als einen Telefonanschluß, sogar einen Computer hat der Klub jetzt zur Verfügung. Über ein eigenes Domizil verfügt der Verein dennoch nicht: Man residiert im Hotel Schwarzbunt, gleich in Nachbarschaft zur „Zuchtvieherzeugergenossenschaft“ und inmitten einer Büroflucht, die sehr stark an ein Schulungszentrum landwirtschaftlicher Kader in Mecklenburg vor 1989 erinnert. Immerhin soll das wirklich bedauernswert schüttere Stadion modernisiert werden, der Anfang wurde mit Sicherheitszäunen schon gemacht.

Die Absperrungen werden womöglich auch gebraucht, Lübecker Fans gelten in der Branche als hart bis brutal. Lorkowski will davon nichts wissen: „Das sind nur ein paar, die sich unter die normalen Fußballfans mischen. Wird aber für uns kein Problem sein.“ Doch hatte nicht schon Marianne Bachmeier, die einst den Mörder ihres Kindes in einem Lübecker Gerichtssaal erschoß, auf die Frage, weshalb sie nicht in ihre Heimatstadt zurückgehe, geantwortet, sie habe in Lübeck, einer Stadt voller Faschisten, nichts verloren? Lorkowski, der Mann mit mitleidlosen Trainingsgewohnheiten, sagt nur schlicht: „Ich würde jederzeit auch einen schwarzen Spieler verpflichten, wenn ich von seinen Qualitäten überzeugt wäre. Da wären mir Leute, denen das nicht paßt, ziemlich egal. Aber die sollen sich auch erst mal zeigen. Mir sind sie noch nicht untergekommen.“

Sagt's, wischt sich den Schweiß mit dem Ärmel von der Stirn und befiehlt den letzten Spielern, vor dem Gang unter die Dusche „die Tore zurückzutragen“. Dann lächelt er plötzlich vor dem Schlußwort: „Jetzt kann es losgehen.“