Blauregen statt Biotonne

■ Von Geranien-Orgien und Schnörkel-Exzessen: Das geheime Leben der Bremer Vorgärten

Der gemeine Bremer hat nicht unbedingt einen Garten. Dafür aber meist vor dem Haus ein schmales Beet, das nach Begrünung ruft. Dieser Ruf läßt sich dauerhaft durch Versiegelung ersticken. Stichwort: Verbundplatten. Auf dem Vorgartenterrain kann man zweitens auch Raum für die Mülltonne schaffen. Oder, weiterhin beliebt, Pflanzkübel mit „Einjährigen“ aufstellen. So weit, so phantasiearm. Oasen der Vorgartenkultur gibt es freilich trotzdem, etwa im Viertel oder Schwachhausen. Vorgärten, mit Geschmack und oft gar pflanzensoziologischer Akkuratesse. Das Soziobiotop der Bremer Kleingärten will Cordula Hamann, Landschaftsgärtnerin bei „Grüner Garten“, der interessierten Öffentlichkeit nun näherbringen. In einer neuen Reihe des Design Zentrums Bremen führt sie demnächst in die Eigenarten der Bremer Gärtchenkunst ein.

„Hier wächst zum Beispiel ein echter Weinstock durch eine Aussparung im Wintergarten“, sagt Cordula Hamann. Auf mindestens 70 bis 80 Jahre schätzt sie das Alter des Stocks, an dem pralle Trauben hängen. Sonnenseite macht's möglich. „Außerdem ist der Stock ein ausgezeichneter Sonnenschutz“. Natürlich gibt es auch Leute, die das umgekehrt sehen und sich nicht von jedem Laubträger das Licht nehmen lassen wollen. Die sägen die Rebe einfach ab; eine Erlaubnis brauchen sie nicht. „Die Baumschutzverordnung greift hier nicht. Weinreben sind keine Bäume.“

Traditionell ranken sich um Bremer Wintergärten gern Glycinien (auch Blauregen genannt). Und wer die nicht sein eigen nennt, erfreut sich vielleicht an einer schlanken Birke auf dem schmalen Streifen zwischen Hauswand und Gartenzaun. Oder an Geranien-Orgien, die hier gleich meterlang an der schönen Fassade prangen – alle Jahre wieder. Was setzen die Bremer Pflanzenfreunde noch in das Fleckchen Erde vor dem Haus? Stockrosen (die gar nicht zu den Rosengewächsen zählen), eine winterharte Jasminart, Phlox, Isländischen Mohn, Lavendel. Der Knöterich (der sich epidemisch ausbreitet) wuchert wild und muß drakonisch gestutzt werden, sonst nimmt er Pflanzen-Nachbarn das Licht. Wilder Wein sorgt für Schatten und Sichtschutz im Sommer und Licht im Winter – wo eh' keiner im Wintergarten sitzt.

Die einst besser Veranden gehießen hätten. Denn zu Gründerzeiten waren sie lediglich überdacht, die Seiten und die Front blieben offen. „Das Glas war einfach noch zu teuer“, meint Cordula Hamann.

Das kann sich heute jeder leisten. Ebenso wie Fensterrahmen aus Tropenholz, das, als Massenware hergestellt, billiger war als einheimische Holzsorten. Auch breite Kunststoff-Fensterrahmen und schmiedeeiserne Schnörkel-Exzesse an Haustüren sind Gift für die Ensemble-Wirkung etwa der seltenen ebenerdigen Wintergärten. „Auch die Modeerscheinung, Zwergzypressen in die Vorgärten zu pflanzen, gab es in den 70ern“, klagt die Landschaftsgärtnerin. Oder Kugelahorn, der sogenannte „Architektenbaum“. „Findet sich immer öfter auf den Plänen der Baumeister, weil er – als kostspielige Sorte – das Honorar in die Höhe treibt und so gestutzt wird, daß vom Bau nichts verdeckt wird.“ Außerdem kommt er der autogerechten Stadtplanung nicht in die Quere, weil er sich in jede Ecke quetschen läßt.

Und direkt an der Straßenecke hat das vorgärtnerische Idyll ja auch schon ein Ende: In der St. Jürgen-Straße mußten die Gärten dem unbehinderten Blick auf die Schaufenster weichen, ebenso am Dobben und am Sielwall. Oder wurden anderweitig entweiht. Damit das liebe Auto auch seinen Platz im trauten Heim hat, fährt es mitunter mitten in die ehemalige Waschküche der Altbremer Häuser. Der Vorgarten wird zur Einfahrt. St. Florians-Prinzip: Grün ist wichtig, aber nicht gerade auf meinem Grundstück!

Alexander Musik

„Design im Grünen“, Führung am 30. August ab 18 Uhr; Treffpunkt: vor dem Designhaus, Wiener Str. 5, Unkosten: 25 DM; Info und Anmeldung: 22 08 158