Irgendwas Verpacktes

■ Arnulf Rating vom einstigen Anarcho-Kabarett "Drei Tornados" über Berlin

taz: Was fasziniert Sie am meisten in Berlin?

Arnulf Rating: Der Humus des Verfalls, der ja lange Zeit diese Stadt so geprägt hat. Es ist der Humus der Kultur, auf dem immer wieder was entsteht. Das ist durch den Regierungsumzug jetzt in Gefahr. Die ganzen Leute mit den Handys, die Geschäftsleute nehmen diese Stadt jetzt ein. Berlin hat eigentlich immer davon gelebt, daß es von Zuwanderern gemacht wurde. Das waren eben oft Wehrflüchtige aus dem Westen. Und jetzt kommt auf einmal die Bundeswehr. Das ist doch schwierig.

Ist es in der vereinten Stadt auch für die Künstlerszene schwerer geworden?

Da gehts uns wie der taz – die Kultur, die sich darum rankt, ist dünner geworden. Das hängt eben mit den Mieten zusammen, die Leute müssen arbeiten gehen und wollen das auch komischerweise. Es gab ja mal eine alternative Kultur. Da ist ein bißchen der Dampf raus.

Wo sind die geblieben?

Die ziehen sich jetzt mehr auf das Land zurück in irgendwelche Nischen in Brandenburg.

Ist der Prenzlauer Berg also doch nur ein Mythos?

Gott, Prenzlauer Berg, das ist die wegen der hohen Mieten aus Kreuzberg vertriebene Szene, die sich da mit dem Osten trifft und ein bißchen die 70er, 80er Jahre nachmacht. Aber das kann auch wieder Zukunft haben.

Wie?

Man muß den Aufruf „Auf nach Berlin“ nutzen. Wir brauchen alle Kräfte. Da kommen ja demnächst lauter Leute, die uns kulturell auf das Niveau von Bonn herunterkinkeln wollen. Berlin war ja lange die einzige buddhistische Stadt der Welt — mit einem Nichts in der Mitte. Und jetzt kommen die Architekten der Firma Lego und planen das quadratisch, praktisch, gut voll. Da müssen wir was entgegensetzen.

Mal abgesehn vom nahenden Ansturm der Bonner – was hassen Sie am meisten an Berlin?

Wie wohl 99 Prozent der Berliner: die Hundekacke auf den Straßen. Deshalb unterstütze ich die KPDRZ, die eine 700prozentige Erhöhung der Hundesteuer fordert.

Wo kann man in Berlin noch die Seele baumeln lassen?

Es gibt noch viele lauschige Eckchen. Einer der schönsten Grillplätze ist ja der, wo jetzt die neuesten Regierungsbauten hin sollen. Das ist immer noch ein herrlicher Platz.

Wohin würden Sie denn jemanden schicken, der für ein paar Tage nach Berlin kommt?

Auf jeden Fall zu den Heimatklängen ins Tempodrom.

Alles in allem – wie fühlen Sie sich so als Neuhauptstädter?

Na ja, in diese Stadt ist einfach ein westdeutscher, normaler Zug gekommen von Mitmachen, Dabeisein. Was aber war das für eine Atmosphäre bei Christo. Diese Stadt braucht etwas, das ihr seit dem Wegfall der Mauer fehlt. Irgendwas Verpacktes, irgend etwas Abgeschlossenes, wo ein kleines Geheimnis drin ist ist.

Ihre Prognose für Berlin nach dem Christo-Sommer?

Die Reichstagsverpackung war wunderschön. Da haben selbst die gnadenlosesten Schultheißberliner Weltoffenheit bekommen. Das zeigt, daß die Stadt im besten Sinne Sinnloses tun sollte, als weiter auf Bruttosozialproduktsteigerung zu machen. Interview: Anja Dilk