■ Die Grünen sind in der Außenpolitik weiter als die SPD
: Friede ist kein Grundwert

Die Grünen sind, was zu beweisen war, eine interessante Partei. Joschka Fischer wird sich mit seinem Abschied vom Fundi-Pazifismus durchsetzen. Daß die Grünen gegen den Nato-Doppelbeschluß gekämpft haben, war angesichts des moralischen Paradoxons eines Verteidigungskrieges mit atomaren Waffen nicht gerade a priori unsinnig und verwerflich. Sich aber grundsätzlich gegen eine militärische Hilfe mit konventionellen Waffen als Ultima ratio auszusprechen, um brutale und menschenverachtende Verletzungen der Menschenrechte zu stoppen, ist weder intelligent noch verantwortlich. Die Grünen sind in der außenpolitischen Diskussion jetzt schon weiter als die SPD, die ihre historischen Fehler der 80er Jahre, die Außenpolitik Herbert Wehners und Helmut Schmidts durch ein Bündnis mit dem Gesinnungspazifismus auszuwechseln, bis heute nicht ver- und überwunden hat. Gegenüber Fischer wirkt Lafontaine wie ein Mahnmal aus alter Zeit.

Mit dem Pazifismus ist es wie mit dem Neutralismus: Wenn Unrecht geschieht, ist er nicht mehr als eine faule Ausrede. Der Werteneutralismus ist der eigentliche Denkfehler des Fundi-Pazifismus. Der Friede ist nämlich kein Grundwert, erst recht kein oberster. Sonst hätten die Nationalsozialisten ihre Schreckensherrschaft über die ganze Welt ausbreiten können, ohne je Widerstand finden zu dürfen. Der Friede ist kein Grundwert, sondern er ist das Ergebnis der Realisierung der wirklichen Grundwerte, nämlich der Freiheit, der Gleichkeit, der Brüderlichkeit und der Schwesterlichkeit. Wo es keine Freiheit, keine Gleichheit und keine Gerechtigkeit gibt, ist auch der Friede nicht möglich. Ein realistischer Pazifismus, wie ihn übrigens auch Gandhi vertreten hat, schließt Gewaltanwendung als Ultima ratio nicht aus. Die Bündnisgrünen haben dies, im übrigen zusammen mit Christlichen Demokraten, bei der Unterstützung des Kampfes gegen Pinochet, Marcos, Noriega und andere genauso gesehen. Die „Theologie der Befreiung“ müßte heute erst recht für den Kampf gegen die Politgangster auf dem Balkan gelten.

Das Papier Fischers sollte Anlaß sein, sich innenpolitisch und völkerrechtlich über einen Moralkodex der Außenpolitik zu verständigen. Bedeutungsschwere Ausreden und Ausflüchte könnten dann weniger Eindruck machen. Das Problem legitimer Gewaltanwendung ist eine zentrale Frage des Verhältnisses von Ethik und Politik. Ob Tyrannenmord im 17. Jahrhundert, ob Intervention gegen Noriega in Panama, ob Golfkrieg gegen Saddam Hussein, ob Hinrichtung von Ceaucescu, ob Luftangriff gegen serbische Artillerie – allen solchen Gewaltaktionen muß eine Rechtfertigung zugrunde liegen, die gleichzeitig auch die Maßstäbe für das politische Handeln aufweist. Die Aktion muß sich gegen Staaten richten, die sich schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben. Die Gewaltanwendung muß die Ultima ratio sein: Eine Ablösung des Unrechtsregimes mit anderen Mitteln, wie zum Beispiel Embargo, ist nicht zu erreichen. Und es muß eine begründete Erwartung geben, daß sich nach dem Sturz des Regimes die Lage für die Menschen verbessert. Die verfassungrechtliche Blockade, die wir zur Zeit in Deutschland wegen des Einsatzes der Bundeswehr erleben, könnte am leichtesten dadurch überwunden werden, daß sich die Parteien über eine solchen ethischen Kodex einigen und auf dessen Basis die Verfassung ändern. Die Blut-und-Eisen-Doktrin Bismarcks hat ebenso ausgedient wie der Fundi-Pazifismus von heute.

Auf die Situation im Balkan angewendet bedeutet dies, nachdem alle politischen und friedlichen Lösungen gescheitert sind: Rückzug der UNO, Aufhebung des Waffenembargos, Unterstützung des Verteidigungskrieges durch Luftschläge der Nato und Öffnung der europäischen Grenzen für die Vertriebenen, bis ihre Rückkehr wieder möglich ist. Heiner Geißler

Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion