Dokumentation der Rede zur Hiroshima-Mahnwache

■ "Radionuklide werden 2,4 Millionen Menschen töten"

(...) In Sekunden wurden am 6. August 1945 in Hiroshima ungefähr 80.000 Menschen vernichtet, weitere 14.000 verschwanden spurlos. Über 100.000 Menschen starben in den folgenden Tagen, Wochen und Jahren. Der amerikanische Präsident Truman, der sich auf der Heimreise von der Potsdamer Konferenz befand, ließ Sekt bringen, hob sein Glas und sagte: „Gentlemen, wir haben soeben auf Japan eine Bombe abgeworfen, die die Sprengkraft von 20.000 Tonnen TNT hatte, sie heißt ,Atombombe'.

Wenige Wochen vorher war die Bombe trotz des Protestes engagierter Ärzte, in der Wüste von New Mexico/USA getestet worden. Die Akutfolgen für die Atombomben-Opfer waren somit vorhersehbar. Auf dem Erdboden wurden bei den Atombomben-Explosionen in Japan 3.000-4.000 Grad erreicht. So erlitten auch Menschen, die mehrere Kilometer vom Zentrum entfernt waren, tödliche Verbrennungen. Hinzu kam die Druckwelle, die innerhalb von Sekunden die Erde planierte. Die Qual setzte sich fort, in den folgenden Tagen und Wochen starben Zehntausende an der radioaktiven Strahlung. Noch heute leben in der Region Hiroshima und Nagasaki ca. 200.000 Menschen, die im offiziellen Wortlaut der japanischen Regierung als „explosionsgeschädigte Personen“ schwerstkrank und körperbehindert sind. Jährlich sterben nach wie vor 2.500 Opfer an den Folgen der Atombomben-Abwürfe.

Heute, 50 Jahre nach dem Inferno, gibt es noch Spezialkrankenhäuser für die Überlebenden und Dahinsiechenden, von den genetischen Folgen, die zum Teil erst in der zweiten und dritten Generation auftreten, ganz zu schweigen. Viele der Überlebenden leiden an seelischer Taubheit. Sie sind nicht imstande, sich an ihre Wahrnehmungen zu erinnern. Ihre Schuldgefühle gegenüber den Toten sind unermeßlich und lassen sie nicht zur Ruhe kommen.

Nach den bis 1963 ca. 500 überirdisch durchgeführten Atomwaffen-Tests wurden weitere 1.500, insbesondere in den USA, in der Sowjetunion, in China und von den Franzosen auf südpazifischen Inseln unter der Erde durchgeführt. Seit mindestens 20 Jahren wissen wir, daß bei unterirdischen Atomwaffen-Expiosionen nicht nur riesige Halden mit hochgiftigem Atom-Müll entstehen, sondern dieser auch nach oben entweichen kann, beziehungsweise durch seitwärtige Risse sich ausbreitet, um auf diese Weise zur weiteren Verseuchung der Umwelt mit nicht entfernbaren hochgiftigen Radionukliden beizutragen. Hinzu kommt, daß bei unterirdischen Explosionen auf pazifischen Inseln große Mengen von Geißeltierchen freigesetzt werden, die von Fischen gefressen in die Nahrungskette gelangen und bei Menschen schwerste Vergiftungserscheinungen auslösen, wie vorübergehende Blindheit, Haarausfall, Lähmungen und Störungen des Blutbildes.

Seriöse Schätzungen gehen davon aus, daß bis zum Ende dieses Jahrhunderts mindestens 400.000 Menschen an den Folgen der Verseuchung gestorben sein werden, insgesamt werden die Radionuklide in den nächsten Jahrzehnten 2,4 Millionen Menschen den Tod bringen. Die Veränderungen der menschlichen Erbsubstanz kommen hinzu, deren Ausmaß ist zur Zeit noch nicht abschätzbar. Die Entscheidung der französischen Regierung, auf dem Moruroa-Atoll weitere Atombomben-Versuche durchzuführen, entbehrt jeglicher Rationalität und Berücksichtigung aller grausamen mit der Atomtechnologie gemachten Erfahrungen.

Die Haltung der deutschen Bundesregierung, die sich entschieden hat, auf „innerfranzösische Angelegenheiten“ keinen Einfluß nehmen zu wollen, befremdet ebenso wie die Entscheidung, gegen einen von der Weltgesundheitsorganisation und der UNO beantragtes Gutachten zu stimmen, welches vor dem Internationalen Genchtshof in Den Haag der Frage nachgehen soll, ob Atomwaffen mit dem Völkerrecht zu vereinbaren sind. (...)

Heinz-Jochen Zenker, Leiter des Bremer Hauptgesundheitsamtes