Nachschlag

■ Tanz im August: DV 8 Physical Theatre mit „Enter Achilles“

Wo läßt sich männliches Verhalten in Reinkultur am besten beobachten? In der Kneipe. Für ihre Produktion „Enter Achilles“ hat das Londoner DV 8 Physical Theatre die Bühne des Hebbel-Theaters in einen tristen Vorstadtpub verwandelt. Rechts der Tresen, Nabel der Macho-Welt, links eine Spiegelwand, in der mann seine optische Wirkung überprüfen kann. Die Spiegelwand ist charakteristisch für die Herangehensweise des Regisseurs und Choreographen Lloyd Newson, der sich und anderen Männern genau auf den Körper geguckt hat und mittels Tanz – Newton bevorzugt den Begriff Bewegungstheater – männliches Gebaren allein und im Rudel reflektiert.

Thema sind die Unterdrückung des Mannes durch seine Artgenossen und der Zwang, der genormten Männerrolle zu entsprechen. Abweichungen werden mit Verachtung und Aggression bestraft. Solche Abweichungen – das englische Wort „deviation“ versteckt sich übrigens auch hinter dem Kürzel DV 8 – ziehen sich als Kontrast zum grölenden, kraftprotzenden Auftreten der Männlichkeit durch das gesamte Stück.

Die Inkarnation des verwundbaren Helden ist Achilles, der hier zum wahren Superman geworden ist: ein zierlicher, gefühlvoller Gegenentwurf zum breitschultrigen, abgestumpften Rowdy. In siebenfacher Ausführung klammert sich der Prototyp des urmännlichen Rüpels am Bierglas fest. Ob in brüderlicher Kumpanei oder in selbstherrlicher Platzhirschmanier, nie lassen die Darsteller ihr Bierglas los. Mit akrobatischer Geschicklichkeit kreisen die Gläser um die Körper. „No dancing allowed“, mahnt ein Schild, und erst nach beträchtlichem Alkoholkonsum lassen die Kumpel alle Hemmungen fahren: Die Hüften kreisen, die Stimmen werden höher, und alle mimen einen ausgelassenen Elfen- oder Haremsdamentanz: ein wunderbarer „valse grotesque“ des Männerballetts rund um die Humpen.

Scham und Straf' folgen prompt. Einzig Superman, diese Symbolfigur für verlorengegangene Träume und Gefühle, wagt es, aus der Rolle zu fallen – ein Angebot an die Rauhbeine, daß es auch anders geht. Fällt ein Fußball vom Himmel: Superman jongliert, statt zu kicken. Fällt ein Tau vom Bühnendach: Superman vollführt damit nicht nur eine atemberaubend schöne Seilakrobatik, er bietet das Tau auch als Schaukel an. Sei doch mal Kind, Mann! Wie pubertäre Rotzbengel führen sich die Kneipenbrüder zwar auf, aber immer mit dem Satz im Kopf: „Ein Junge weint doch nicht!“

Zum Schluß heult doch noch einer. Die bösen Bengel haben die geliebte Puppe vergewaltigt und dann abgeschlachtet. Superman singt ein tröstendes Lied, und langsam erhebt sich das männliche Häufchen Elend samt Bühnenboden in den Himmel wahrer Herrlichkeit. „Enter Achilles“ zeigt den Mann nicht nur im Zerrspiegel, es führt auch sehr gelungen vor, was alles in ihm stecken könnte, würde er sich nur trauen. Anne Winter

Tanz im August wird fortgesetzt mit „Parcours“ von der Lucinda Childs Dance Company, New York. Di.–Do., 20.30 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg