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Gäste aus dem Ausland fehlten

Zum 50. Jahrestag rechtfertigte UNO-Generalsekretär Butros Butros Ghali den Atombombenabwurf auf Hiroshima und erntete damit die Empörung der Opfer  ■ Aus Hiroshima Georg Blume

Wären die Japaner nicht so höfliche Gastgeber und könnten sie dem Rest der Welt ihnen zugefügte Verletzungen auch nur annähernd so rasch erklären wie andere, dann hätten es die Vereinten Nationen heute mit einer handfesten Krise ihres Generalsekretärs Butros Butros Ghali zu tun. Sicher ist: Keine andere Weltmacht außer Japan würde die Rede eines UNO-Generalsekretärs ungescholten lassen, in der dieser die grausamste Kriegstat, die je gegen das eigene Land verübt wurde, vor ihren Opfern rechtfertigt. Genau das aber tat Butros Ghali am 50. Jahrestag des ersten Atombombenabwurfs auf Hiroshima: „Der Horror von Hiroshima hat unsere Welt sicherer gemacht“, ließ Butros Ghali in einer von UNO-Sprecher Joseph Reed verlesenen Botschaft des Generalsekretärs verkünden. Erschreckt und angewidert von eine derart positiv gewendeten Einschätzung der Ereignisse vor 50 Jahren, wandten sich einige Atombombenopfer unter den 50.000 Zuhörern im Friedenspark von Hiroshima von dem Redner ab.

„Das ist nicht in Ordnung“, empörte sich Sunao Tsuboi, Vorsitzender der Vereinigung der Atombombenopfer, über die Worte Butros Ghalis. „Dieser Satz bedeutet, daß es richtig war, die Bombe abzuwerfen.“ Tsuboi erinnerte daran, daß 70 Prozent der Atombombenopfer in Hiroshima Frauen, Kinder und Alte waren. Die Stadt Hiroshima, die für die Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des Atombombenabwurfs verantwortlich war, verzichtete gestern auf eine offizielle Stellungnahme. Ein hoher Beamter der Stadtverwaltung, der die Feierlichkeiten mit organisiert hatte, bezeichnete die Botschaft von Butros Ghali jedoch als „ungenügend und unbefriedigend“. In Japan ist es üblich, daß Beamte bei Stellungnahmen gegenüber der Presse ihren Namen nicht nennen.

Die Hiroshima-Botschaft des Generalsekretärs kann sich indes als Zeitbombe erweisen. Nie wurde Japan und der Welt so deutlich bewußtgemacht, wie sehr sich die Beurteilungen der Atomkatastrophen vor 50 Jahren bis auf den heutigen Tag unterscheiden. Dem anwesenden japanischen Regierungschef Tomiichi Murayama – vielleicht eine der Schlüsselfiguren für die Reform der UNO in den nächsten Jahren – konnte dies kaum entgangen sein.

Japan feierte den 6. August gestern wie jedes Jahr: als „Konsolidierung für die Seelen der Atombombenopfer und Gebet für den ewigen Frieden“. Dabei bleibt die Frage, wer die Schuld für die Atombombenabwürfe trägt, gewöhnlich unerwähnt. Auch am Sonntag fand der verbrecherische Angriffskrieg, den Japan im Vorfeld der Atombombenabwürfe geführt hatte, weder in der Ansprache von Premierminister Murayama noch in der Rede von Parlamentspräsidentin Takako Doi irgendeine Erwähnung. Statt dessen beschränkten sich beide auf Mitleidsbekundungen gegenüber den Atombombenopfern.

Ganz anders Butros Ghali: Während er entgegen den Gebräuchen auf jede direkte Ansprache der Opfer verzichtete, beschrieb der UNO-Generalsekretär das Gedenken Hiroshimas als „Vergegenwärtigung der schrecklichen Folgen, zu denen ein einmal begonnener Konflikt führen kann“. Damit war zumindest angedeutet, daß die Atombomben nach Butros Ghalis Einschätzung vor allem auf das Konto desjenigen gingen, der den Krieg im Pazifik begonnen hatte – also auf das Japans. Am Ende aber bewiesen alle Reden des gestrigen Gedenktages – mit Ausnahme der mutigen Kriegsschulderklärung von Hiroshimas Bürgermeister Takashi Hiraoka –, wie wenig Bemühen um gegenseitiges Verständnis Japan und die Welt bezüglich des Pazifikkrieges heute aufbringen.

Auffallen mußte deshalb auch, wie wenige hochrangige Gäste aus dem Ausland an der Gedenkfeier in Hiroshima teilnahmen. Mit Ausnahme von UNO-Sprecher Joseph Reed, der in seinem Teil der Rede nicht unerwähnt ließ, wie sehr ihn als Amerikaner dieser Tag bewege, war kein namhafter Vertreter der Siegermacht nach Hiroshima gekommen – nicht einmal Richard Gere, der als Schauspieler in Kurosawas umstrittener „Rhapsodie im August“ immerhin schon Nagasaki besuchte. Ebenso fehlten Repräsentanten anderer asiatischer Regierungen. Um so mehr fiel für viele Japaner das unübersehbare deutsche Interesse am Hiroshima-Tag ins Gewicht: Am Sonntag waren Grünen-Sprecher Jürgen Trittin und Hannovers Bürgermeister Herbert Schmalstieg, der einst eine Städtepartnerschaft anregte, in Hiroshima. Ihnen folgt morgen der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker.

Vielleicht fällt es den deutschen Besuchern leichter als anderen, hinter den Atombombenabwürfen auch die Schuld des Siegers zu erkennen: Aus der Erfahrung in Dresden wissen sie um das Unrecht, das trotz der deutschen Kriegsschuld von den Siegern an Deutschen verübt wurde. In diesem Sinne wird Richard von Weizsäcker heute in Tokio einen Vortrag über „Deutschland und Japan 50 Jahre nach dem Kriegsende“ halten, der sich – in indirektem Bezug auf Hiroshima – mit der Selbstgerechtigkeit der Sieger beschäftigt. Dem ehemaligen Bundespräsidenten ist damit ein weites Echo innerhalb Japans garantiert. Gerade aufgrund der mangelnden pazifischen Verständigung interessiert sich die japanische Öffentlichkeit in diesen Tagen für den Vergleich mit der deutschen Vergangenheitsaufarbeitung. Der Grüne Jürgen Trittin erlebte das bei überfüllten Hörsaalveranstaltungen in Hiroshima: Die Sätze: „Nie wieder Krieg! Nie wieder Auschwitz!“ stoßen in Japan überall auf ungeteilten Beifall. „Nur der denkbare Widerspruch zwischen beiden Aussagen wird nicht erkannt, weil er über die Eindimensionalität der Atomgegnerschaft hinausgeht“, beobachtete Trittin die Reaktion der Zuhörer.

Diese Eindimensionalität läßt sich am 6. August in Hiroshima zumindest nachvollziehen. Schon früh um sechs waren am Sonntag Zehntausende auf den Beinen, um an den unzähligen Atomdenkmälern der Stadt ihrer verstorbenen Angehörigen zu gedenken und sich dabei das Unvorstellbare des Ereignisses vor 50 Jahren noch einmal in Erinnerung zu rufen. Viele Betroffene machte die Atombombe auch gestern noch sprachlos. Doch stand noch vor Sonnenaufgang eine in einen grünen Kimono gekleidete Dame mit von Keloiden entstelltem Gesicht vor einer alten Stadtkarte im Friedenspark und versuchte einem Dutzend Jugendlicher händeringend zu erklären, wie diese Gegend vor dem Atombombenabwurf ausgesehen hatte. „Es war ein lebendiger Stadtteil, der in einer Sekunde zu Asche zerfiel“, sagte die zu Tränen gerührte Dame. Wieso, würde sie wohl fragen, sei die Welt sicherer geworden, weil ihre unschuldige Mutter hier sterben mußte? So vernünftig die Welt vielleicht eines Tages sein mag, leuchtet die Logik des Butros Ghali doch keinem mitfühlenden Menschen ein.

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