Statistisch geht es aufwärts

Fidel Castro versucht in Kuba Optimismus zu verbreiten / Schlechteste Zuckerrohrernte aller Zeiten – aber der Gemüsemarkt wächst  ■ Von Bert Hoffmann

Hamburg (taz) – Hunderttausende ließ die Kommunistische Partei Kubas am Samstag nach Havanna karren. Im strömenden Regen lauschten die Demonstranten Fidel Castro, der das Wirtschafts- embargo der USA erneut als „ungerecht und kriminell“ brandmarkte. „Wenn wir noch hundert Jahre kämpfen müssen, werden wir hundert weitere Jahre kämpfen,“ rief er der Menge zu. Das Datum für den Aufmarsch war mit Bedacht gewählt. Genau vor einem Jahr erlebte Havanna die ersten offenen Unruhen gegen die Regierung Castro. In der Folge kam es zur Massenflucht auf improvisierten Flößen – zweifelsohne der bisherige Tiefpunkt der Krise Kubas. Die Regierung ist sich offensichtlich bewußt, wie prekär auch heute die Ruhe im Lande und wie heikel dieser Jahrestag ist.

Mit Macht hat Fidel Castro in den letzten Wochen den 5. August zu einem Tag des Ruhms der Revolution erhoben, da der Imperialismus und seine Helfershelfer vom aufrechten kubanischen Volk in die Schranken gewiesen worden seien.

Auch an anderer Stelle versucht Kubas Regierung, Optimismus und Stärke zu zeigen. Nach sechs Jahren Daten-Blackout hat sie erstmals wieder ein statistisches Jahrbuch über die wirtschaftliche Entwicklung publiziert. Die Botschaft an Freund und Feind: Der Absturz der kubanischen Ökonomie ist gestoppt, es geht aufwärts. Zentrales Argument ist das errechnete Bruttoinlandsprodukt, das zum ersten Mal seit Jahren wieder ein Plus von 0,7 Prozent aufweist.

Doch der guten Nachricht folgt die schlechte: Die diesjährige Zuckerrohrernte, Kubas traditioneller Devisenbringer Nummer eins, fiel so katastrophal aus wie nie zuvor. Wo sie noch bis 1992 bei rund 8 Millionen Tonnen jährlich lag, waren es in diesem Jahr gerade noch 3,3 Millionen – ein Einbruch, den kein anderer Wirtschaftszweig auffangen kann. Die nun präsentierten Statistiken halten jedoch auch beim Zucker am Ende die gute Nachricht bereit – als Prognose für das kommende Jahr. Kuba hat, so die Begründung für die Zuversicht, einen 100-Millionen-Dollar-Kredit aus dem Ausland erhalten, um Dünger, Benzin und Agrochemikalien zu kaufen.

Doch die diesjährige Mißernte ist nicht allein Ergebnis fehlender Importe. Vielmehr hat das Krisenmanagement der Regierung Castro zu halsbrecherischen Widersprüchen in der kubanischen Ökonomie geführt. Wie das in der Landwirtschaft aussieht, rechnete jüngst Kubas prominentester Ökonom Julio Carranza vor: Wenn eine Kooperative Nahrungsmittel für die Bauernmärkte produziert, verdient sie 60mal mehr, als wenn sie an den Staat Zuckerrohr zu Niedrigstpreisen verkauft. Dem Marktmechanismus, den der sozialistische Staat legalisiert hat, kann er nur Zwang entgegensetzen. Zwar gibt es eine Überwachung der Planerfüllung. Sie wird aber oft umgangen. So wandert der mit Dollarkrediten bezahlte Dünger häufig auf die kleinen Äcker mit Maniok oder Gemüse für den Markt der Kubaner und nicht auf die Zuckerrohrfelder.

Was für die Devisenbilanz des Landes fatal ist, hat für die kubanische Normalbevölkerung zunächst positive Folgen: Die Versorgung mit Lebensmitteln ist zweifelsohne besser als im vergangenen August. Die Stimmung jedoch ist es nicht. Die Reformschritte haben mehr Erwartungen geweckt als erfüllt. Und der einst so fürsorgliche Vater Staat erscheint im Alltag immer mehr als Hindernis denn als Hilfe.

In diesem Sommer nur beginnt zudem die jahrelang aufgeschobene Sanierung der darniederliegenden Staatsbetriebe – sprich: Massenentlassungen größten Ausmaßes. Eine Alternative dazu vermag niemand zu benennen: Soll Kubas Wirtschaft nicht von massiver Inflation zerrissen werden, kann der Staat nicht ewig Löhne zahlen, denen keine Produktion gegenübersteht. Und weil dieses Problem verdrängt wurde, muß der Einschnitt immer brachialer werden. Wirtschaftsminister Rodriguez spricht von 500.000, andere Funktionäre gar von 800.000 Kubanern, die in den nächsten Monaten ihren Job verlieren werden. Kommentar Seite 10