Streitfragen für das nächste Jahrtausend

Korruption in London und am Berliner Spreebogen: Bücher zur Geschichte der Architekturwettbewerbe  ■ Von Till Briegleb

Wenn man sich die 200 Jahre währende Geschichte der Architekturwettbewerbe betrachtet, dann muß man relativ ernüchtert feststellen, daß dieses angeblich so demokratische Instrument zur Ermittlung größtmöglicher Baukultur keineswegs zwangsläufig zu optimalen Lösungen führt noch jemals ein Garant für eine faire Konkurrenz gewesen ist. Ähnlich wie in der politischen Demokratie bestimmen auch beim Architekturwettbewerb Interessen von Eliten, Ideologien und Machtpolitik weit mehr die Entscheidung über Wettbewerbssieger und Bauaufträge als der fachliche, ergebnisorientierte Diskurs. Natürlich führt diese Konstellation nicht zwangsläufig zu unbefriedigenden Entscheidungen. Aber das Bewußtsein um die Bedeutung ideologischer und ökonomischer Komponenten bei Architekturwettbewerben entfernt doch gründlich den Lorbeer des Sportiven, der diesen immer noch anhaftet. Gewinnt in der sportlichen Arena in der Regel der oder die Bessere, so entscheidet in dem komplizierten Geflecht aus Programmen, Stilfragen, Investorenwünschen, symbolischen Bedeutungen, Intrigen und Prominentenboni letztlich immer das Arrangement mit der Finanzmacht – sei sie privater oder staatlicher Natur.

Die Beispiele, die Cees de Jong und Erik Mattie in ihrer Geschichte der Architekturwettbewerbe seit 1792 für rundum erfolgreiche Verfahren aufführen, die ohne Skandale, Proteste, Gerichtsverfahren, öffentliche Verleumdungen, ideologische Fehlentscheidungen, Demissionen von Architekten oder willkürliche Korrekturen des Ergebnisses bis zur Fertigstellung gelangten, sind dann auch eher in der Minderzahl. Zwar sind die Mauscheleien nicht immer so spektakulär gewesen wie beim Wettbewerb für die Law Courts in London, wo der später mit der Ausführung bedachte Architekt George Edmund Street von 88 Anforderungen des Programmes gerade drei erfüllen konnte, doch als Freund des Finanzministers William Edwart Gladstone dennoch zu diesem damals größten Bauauftrag des Empires kam. Aber wie die Weichen insbesondere durch Jurybesetzungen so auf bestimmte Kandidaten ausgerichtet werden können, daß diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auch gewinnen werden, haben ja nicht zuletzt diverse Ausscheidungen in der aktuellen Hauptstadt der Wettbewerbe, Berlin, gezeigt, wo die „preußischen“ Architekten und Stadtplaner stets einen der ihrigen als Sieger zu finden wußten.

Daß die offizielle Anonymität der Einreichungen für derart planbare Lösungen nur selten ein Hindernis darstellt, macht die vorliegende umfangreiche Sammlung berühmter Projekte sowie ihrer konkurrierenden Entwürfe auch dem Laien deutlich. Jeder Student der Architektur im ersten Semester kann bereits die monotone Geometrie eines Oswald Mathias Ungers, die an de Chirico erinnernden Entwürfe Aldo Rossis, die Explosionen und Fragmente eines Daniel Libeskind oder die steinerne Hochhausnostalgie eines Hans Kollhoff aus tausend anderen Entwürfen hervorholen. Daß die sogenannte Preisrichterelite auch die meisten anderen renommierten Büros an ihrer individuellen Handschrift erkennen kann (und soll), macht die Anonymität, gerade bei geladenen Wettbewerben, zur Farce.

Eine der in dieser Hinsicht erfreulichsten Epochen von Architekturwettbewerben war sicherlich die Zeit der Grands Projets in Frankreich. Denn die meisten dieser symbolträchtigen Projekte wurden von Überraschungssiegern gewonnen und gebaut. Zu dieser Zeit auf dem internationalen Parkett relativ unbekannte Architekten wie 1970 Richard Rogers (Centre Pompidou mit Renzo Piano) oder 1982 Carlos Ott (Opera Bastille) und Johann Otto von Spreckelsen (Grande Arche) erhielten ebenso die Chance, ihre siegreichen Entwürfe zu realisieren wie Architekten aus der damals wie heute verhöhnten Ideenrichtung der Dekonstruktivisten (Bernhard Tschumis Parc de la Vilette). Unter den knapp 50 vorgestellten, nach Spektakularität ausgewählten Projekten finden sich über Paris deswegen auch die mit Abstand meisten Artikel.

Einigermaßen ausführlich stellen die beiden niederländischen Autoren die Geschichte der einzelnen Projekte anekdotenreich vor, um dann im Bildteil die wichtigsten Wettbewerbsbeiträge zu dokumentieren. Daß unterlegene Entwürfe dabei oft mehr über die damals aktuellen Zeitströmungen aussagen als die verwirklichten Gebäude, zeigt am besten der wohl berühmteste Architekturwettbewerb aller Zeiten für den Chicago Tribune Tower 1922. Der gotisierende Kitsch, den die amerikanischen Architekten Howells & Hood schließlich bauen durften, verblaßt völlig hinter den noch heute überall präsenten, aber unverwirklichten Entwürfen von Adolf Loos, Max Taut, Bruno Taut, Hans Scharoun oder Gropius & Meyer, die den damaligen Stand der radikalen Moderne beispielhaft reflektierten.

Mit dem Wettbewerb zum Umbau des Berliner Reichstages enden die kiloschweren Bände, die sowohl als beispielhafter Abriß der Architekturgeschichte seit 1792 wie auch als Nachschlagewerk für die prominentesten Bauaufgaben der letzen zwei Jahrhunderte empfehlenswert sind. Und auf Berlin beziehen sich auch alle Buchpublikationen über deutsche Architekturwettbewerbe der letzten Zeit.

Der vom Berliner Bauhaus-Archiv und dem Frankfurter Architekturmuseum zur Ausstellung im Frühjahr herausgegebene Katalog zur Wettbewerbsgeschichte am Potsdamer Platz ist die einzige Veröffentlichung, die der vielleicht wichtigsten Begleiterscheinung von Wettbewerben ernsthaft entgegenkommt: dem sich rapide verbreiternden Interesse der Menschen für die bauliche Entwicklung ihrer Stadt. Denn im Gegensatz zu den sehr fachspezifischen und wertungsfreien Darstellungen der beiden anderen Wettbewerbe am Spreebogen und dem Alexanderplatz unternimmt „Ein Stück Großstadt als Experiment“ den Versuch, diese gigantische Operation am offenen Herzen Berlins von verschiedenen Standpunkten aus zu befragen. Nicht nur, daß die lautstark geführte Diskussion über die Richtigkeit dieser Planung (Stichwort: Verkauf an Großinvestoren und Abschied von der Parzelle) dargelegt wird. Auch ein sehr kluger Artikel des Denkmalschützers Georg Mörsch über die Unfähigkeit heutiger Stadtplaner, aus der Geschichte der Städte zu lernen, bereichert den Katalog. Artikel über die Geschichte des Platzes und das Projekt der Moderne runden das Feuilleton des Bandes ab, bevor die einzelnen Wettbewerbsphasen bis zu den jetzt im Bau befindlichen Realisierungsentwürfen (u.a. von Renzo Piano, Arata Isozaki, Richard Rogers und Hans Kollhoff) ausführlich dargestellt werden.

Natürlich eröffnen auch die Dokumentationen der städtebaulichen Ideenwettbewerbe zum Alexanderplatz und zum Spreebogen dezidierte Vorstellungen über Berlins Aussehen im Jahr 2000 plus. Und selbstverständlich liefern auch diese Bände die Geschichte des jeweiligen Genius loci. Aber gerade zu einem Verfahren wie „Berlin Alexanderplatz“, wo der Streit über die Stadt für das nächste Jahrtausend sich in aller möglichen Schärfe hätte dokumentieren lassen, wirkt die „objektive“ Darstellung des Wettbewerbes wie die technische Fälschung eines Zungenkusses verfeindeter Schauspieler. Auf der einen Seite der Sieger Hans Kollhoff, dessen provinzieller Nationalismus hier nun in Form von steinernen Hochhäusern zahnen wird, und dort Daniel Libeskind, dessen offenes, fragmentarisches Konzept von der Jury zwar als „überzogene Formencollage“ denunziert, aber trotzdem mit dem zweiten Platz bedacht wurde. In diesem Verfahren traf exemplarisch ein politisches auf ein philosophisches, ein herrschaftliches auf ein lyrisches, ein machbares auf ein hoffnungsvolles Konzept. Daß die Diskussion darüber, warum Kollhoffs Funkenschlagen aus den Steinen der Vergangenheit die Begeisterung des Kapitals und der Bürokratie mehr entfachte als Libeskinds behutsame Behandlung der Zukunft, den Fachzeitschriften überlassen wird, ist das entscheidende Versäumnis dieser ansonsten ausgesprochen gut gestalteten Dokumentation.

Die Darstellung des Ideenwettbewerbes zum Regierungsviertel, der Axel Schultes und Charlotte Franks Entwurf als souveränen Sieger sah, krankt schließlich an der Ausführlichkeit, mit der Hunderte der 835 eingereichten Entwürfe in Briefmarkenform wiedergegeben werden müssen. Hier handelt es sich um die Art Fachpublikation, die keinen von dem Brimborium neugierig gemachten Leser mehr bedienen möchte. Und damit belegt dieser Band, wenn auch sicherlich nicht beabsichtigt, die im „Berliner Architektenstreit“ erneut mächtig hervorgetretene Tendenz der Architekten- und Stadtbauplanerszene, sich wie ein Ameisenstaat zu organisieren. Wohl ist dem, der drinnen sitzt, Weh aber dem, der hinein möchte.

Cees de Jong und Erik Mattie: „Architektur-Wettbewerbe 1792 bis heute“. Taschen-Verlag, 740 S. 1.300 Abb., 128 DM

„Ein Stück Großstadt als Experiment – Der Potsdamer Platz“. Hatje Verlag, 180 S., 320 Abb., 78DM

„Wettbewerb Alexanderplatz“. Ernst & Sohn, 258 S., 150 Abb., 68DM

„Spreebogen“. Birkhäuser Verlag, 256 S., 1.175 Abb., 88 DM