"Die Multikultur ist zerstört"

■ TschechInnen dulden ihre ausländischen Mitbürger nur, wenn sie ihre Sprache sprechen, viel Geld mitbringen und sonst nicht weiter auffallen - meint der Soziologe Ivan Gabal

Der Soziologe Ivan Gabal war einer der Dissidenten im Bürgerforum um Václav Havel. Einige Jahre nach der Samtenen Revolution zog er sich aus der Politik zurück. Er hat vor einigen Monaten die erste Studie zum Thema „Ethnische Unterschiede und die Haltung der Tschechen gegenüber Ausländern“ verfaßt.

taz: Herr Gabal, freuen sich die Tschechen, insbesondere die Prager, über die ausländischen Mitbürger?

Ivan Gabal: Das kann man nicht sagen. Sie gehen mit Ausländern nicht gerade freundlich um. Mehr als 75 von 100 TschechInnen verbinden mit Ausländern mehr Probleme als Freude. In ihren Augen sind Ausländer für das Ansteigen der Kriminalität und für die instabilen Komponenten in unserem Land verantwortlich.

Was sind denn die positiven Sichtweisen?

Wenn TschechInnen etwas Positives zu Ausländern sagen sollen, dann heißt es „Geld“. Oder sie denken, daß sie Investitionen bringen, neue Möglichkeiten und Märkte schaffen. Wie auch immer die Bewertung ist, kulturelle Aspekte werden nicht gesehen.

Die Multikultur von einst besteht nicht mehr. TschechInnen sind es in gewisser Weise nicht mehr gewohnt, mit Ausländern zusammenzuleben.

Hier ist ein gewisser Trend, eine Art Reinigung der tschechischen Gesellschaft zu beobachten. Seit dem Krieg hat sich eine Wende vollzogen: Die Deutschen wurden vertrieben, man mag die Russen nicht mehr, die Roma sind ungeliebte Kinder. Der Prozeß endete damit, daß wir die Slowaken geschnitten und das Land geteilt haben. Die Multikultur ist in der Tat zerstört.

Obwohl inzwischen wieder zahlreiche Ausländer in der ČR leben und es immer mehr werden.

In der Vergangenheit waren die TschechInnen immer Konsumenten der westlichen Hilfe: Viele emigrierten in die USA et cetera. Jetzt ist es Zeit zu sagen: Wir haben diese Hilfe so oft in Anspruch genommen, jetzt ist es an uns, Ausländern im Gegenzug unsere Gastfreundschaft anzubieten. Vor allem Prag ist für viele Ausländer eine attraktive Adresse.

Wird unterschieden zwischen guten und schlechten Ausländern?

TschechInnen teilen Ausländer in drei Gruppen ein. Da sind zum einen die „Westler“, wie die Amerikaner und die Deutschen. Letztere werden immer noch im historischen Kontext beurteilt. Da ist dann weiter die Gruppe der Ausländer mit den gleichen kulturellen Wurzeln: Slowaken oder die tschechischen Emigranten, die nun zurückkehren. Und drittens sind da ethnisch völlig unterschiedliche Gruppen wie etwa die Araber. Erstaunlich ist, daß immer, wenn wir über Rassismus in unserem Land sprechen, das sehr wenig gegen Juden geht.

Es gibt sehr viele Menschen aus Ex-Jugoslawien in Prag.

Früher hieß es: Die Jugoslawen sind ein uns sehr nahes Volk. Seitdem dort Krieg herrscht, hat sich diese Ansicht zerschlagen. Inzwischen werden sie kritisch gesehen. Neuerdings heißt es: Sie sind ein ethnisch und kulturell sehr anderes Volk.

Welche Erwartungen haben TschechInnen an Ausländer?

Das größte Problem ist, daß Ausländer nur akzeptiert werden, wenn sie die gleiche Mentalität an den Tag legen. Mehr als drei Viertel aller TschechInnen erwarten von Ausländern, daß sie unsere Sprache sprechen und unsere Gewohnheiten annehmen. Schwierig wird es, wenn Ausländer bei uns soziale Hilfe und Unterstützung in Anspruch nehmen. Weniger als 18 Prozent erlauben Ausländern eine maximale kulturelle Autonomie. TschechInnen empfinden jeden ethnischen oder kulturellen Unterschied als Bedrohung.

Weshalb Sinti und Roma die Prellböcke der Nation sind.

Wenn es um die sogenannten Zigeuner geht, wie die TschechInnen sagen, verschärfen sich die Ansichten. Etwa ein Drittel der Bevölkerung ist der Ansicht, daß die Zigeuner ihre biologischen Unterschiede nicht überwinden. Viele wünschen sich eine extreme Lösung dieses Problems. Sie wollen, daß die ungeliebte Volksgruppe von uns separiert wird. Über dreißig Prozent der TschechInnen tendieren in dieser Frage zum Rassismus. Es ist nur eine Frage, ob sie es tun. Dem gegenüber steht eine friedliche Bewegung. Und man muß sagen, daß TschechInnen aber auch zwischen solchen und solchen Zigeunern differenzieren.

Gibt es in dieser Frage einen Unterschied zwischen der Situation in Prag und der anderer tschechischer Städte oder Regionen?

In Prag zeigen sich die Eigenschaften deutlicher: Einerseits sind die TschechInnen hier freundlicher, offener und toleranter. Andererseits spürt man die extreme Ablehnung gegenüber bestimmten Ausländern. Das Problem ist jedoch, daß es kein politisches Programm gibt, das sich zum Beispiel mit den Sinti und Roma beschäftigt. Diese Regierung versagt, wenn es um ethnische Fragen geht. Ich möchte sogar noch weiter gehen und sagen: Die jetzige Regierung ist darin bei weitem unfähiger als die alte, die kommunistische.

Wird die Fremdenfeindlichkeit durch die – wie Sie sagen – Nichtpolitik noch gefördert?

In der Tat. Die Regierung nutzt die Verschlossenheit der Bevölkerung gegenüber Ausländern als Rechtfertigung, das Land für Ausländer zu schließen. Auf die Roma reagieren sie in gewisser Weise, wie sie auf die Slowaken reagiert haben. Noch etwas zu den Intellektuellen: Ich finde, daß sie sich in Ausländerfragen nicht wesentlich von dem Rest der Bevölkerung unterscheiden. Sie sind blockiert und vor allem uneffizient.

Es gibt zahlreiche regierungsunabhängige Organisationen.

Sie sind sehr aktiv. Doch die Regierung interessiert sich überhaupt nicht für ihre Arbeit. Es ist doch schon erstaunlich, daß wir bis heute noch immer nicht wissen, wie viele Roma einer Beschäftigung nachgehen, wie viele von ihren Kindern die Elementarschule abschließen oder überhaupt besuchen, ja, wir wissen doch nicht einmal, wie viele es sind. Die EU- Menschenrechtskommission hat noch nicht mitbekommen, daß wir dem internationalen Standard in diesen Fragen nicht genügen.

Wie beurteilen Sie die Rolle der Prager Presse im Hinblick auf ethnische Fragen?

Die Medien haben in den letzten eineinhalb Jahren einiges bewirkt. In gewisser Weise bringen sie Intoleranz auch ans Licht. Es ist jedoch auch für sie schwer, an aussagekräftige Hintergrundinformationen zu kommen. Unsere Studie beispielsweise ist die einzige, die bisher zu diesem Thema in der Tschechischen Republik erschienen ist. Außerdem neigen einige Medien inzwischen zu Regierungsverlautbarungen, selbst die einst so kritische Zeitung Lidove noviny.

Was sollte die Regierung gegen die Ausländerfeindlichkeit tun?

Die müssen erst einmal erfahren, was in diesem Land überhaupt los ist. Wirkliches Interesse für die Roma zeigen und zu prüfen, ob sie sich in der tschechischen Gesellschaft assimilieren wollen oder ob sie eine Minoritätenstruktur aufbauen möchten. Dazu sind regelmäßige Treffen mit Vertretern der regierungsunabhängigen Organisationen notwendig. Letztlich könnte die Stimmung in unserem Land auch dadurch verbessert werden. Obwohl ich hinzufügen möchte, daß die Tschechische Republik im Vergleich zu anderen Balkanländern und auch der Slowakei in Ausländerfragen ganz gut dasteht. Interview: Tomas Niederberghaus