Selbsterfahrung mit „Kimsta“ Von Claudia Fuchs

Seit sechs Stunden ernähren wir uns von Eistee und Trauben-Nuß- Schokolade inmitten einer Trümmerlandschaft aus braunem Packpapier und aufgerissener Wellpappe. „Laß uns aufhören“, schlägt meine Schwester mit matter Stimme vor. „Das hat doch keinen Sinn mehr. Sieh's doch endlich ein, daß wir nicht weiterkommen.“ Mein Rücken hat's schon eingesehen. Solche Schmerzen hatte ich zuletzt nach dem Zirkeltraining im Sportunterricht, aber das ist gute zwanzig Jahre her.

Erbittert stopfe ich ein weiteres Stück Schokolade in den Mund und gehe erneut zu Boden. „Wir dürfen nicht aufgeben“, verkünde ich als die Ältere. „Laß es uns noch einmal probieren. Es muß doch irgendwie funktionieren.“

Mit dem Mut der Verzweiflung greife ich erneut zu dem weißen Zettel, auf dem die vielversprechende Losung „Follow me!“ prangt. Wir haben mindestens eine halbe Stunde auf eine winzige Zeichnung in einer Sprechblase gestarrt, die einen Finger zeigt, der einen Gegenstand in ein Stück Stoff drückt. Wir haben diskutiert, interpretiert und den Zettel auf den Kopf gestellt. Zwanzig geballte Semester Jura- und Englischstudium erweisen sich als vollständig nutzlos. Wir werden an diesem späten Samstagnachmittag, der immer später wird, kläglich scheitern, wenn nicht bald ein Wunder geschieht. Und zwar an „Kimsta“.

„Kimsta“ besteht aus schichtverleimtem Holz, dessen Splitter sich bereits in meinen Daumen (Lachkrampf) und ihren Zeigefinger (Heulkrampf) gebohrt haben, sowie einem Gestell aus gebogenem Stahlrohr, das inzwischen verbogen auf dem Boden lagert. Schon seit Stunden will sich aus dem Wirrwarr von Holz, Schrauben und Stahl trotz heißem Bemühen kein Sessel bauen lassen. Vor allen Dingen kein Sessel, der auch nur im entferntesten dem Bild im Ikea-Katalog ähnelt, das wir längst zusätzlich zur Aufbauanleitung zu Rate gezogen haben.

Ein Überlebenstraining für Manager kann kaum härtere Teststrecken bieten als dieses tückische Sitzmöbel, in dessen Gestell wir uns ständig verheddern. Nichts geht mehr. Der Bezug ist für das Stahlrohr zu knapp bemessen, die Gewinde der Schrauben bereits heillos zermatscht und wie zum Teufel soll man das Mittelteil zwischen die Seiten quetschen? Meine Schwester plädiert nun doch für leichte Gewalt, während ich in der Anleitung emsig nach versteckten Hinweisen suche, um das Schwedenrätsel doch noch zu lösen. Der Versuch, beide Methoden zu kombinieren, muß zum Streit führen.

Immerhin: Bevor das Unternehmen „Kimsta“ begann, hatten wir keine Ahnung, wieviel an Kraft, Zähigkeit und Ideenreichtum wirklich in zwei Frauen Mitte dreißig steckt, die sonst nur Sätze statt Möbel zusammenzimmern.

Kurz vor Mitternacht dann der letzte Akt: Feierlich ziehen wir dem Ungetüm die helle Polsterung wie eine Schlafmütze über den Kopf. „Kimsta“ steht und wir liegen erschöpft, aber hochzufrieden vor seinen (oder ihren?) Füßen.

Vielleicht sollten die Schwedenmöbler wirklich mal über Angebote im Sektor Selbsterfahrung nachdenken. Denn was ist schon ein Wochenende in der Schwitzhütte gegen den Nahkampf mit so einem Sessel? Wir jedenfalls freuen uns schon auf die Eiger- Nordwand-Tour mit „Billy“.