Chinesische Pionierin im Cyberspace

Im Reich der verschwiegenen Umweltprobleme und Mammutprojekte will eine Soziologin per Internet ökologische Daten und Informationen über neue Technologien verbreiten  ■ Aus Peking Sheila Tefft

Li Lailai sieht sich selbst als Pionierin an Chinas Grenze zum Cyberspace. Sie zählt zu der wachsenden Gruppe chinesischer Computerfreaks, die sich an Databases, E- Mail, Internet und den anderen Wundern der expandierenden Datenautobahn versuchen. Ziel der in den USA ausgebildeten Soziologin Li: Sie will den ChinesInnen die internationalen Informationen über umweltverträgliche Entwicklung und Technologie nahebringen. Dazu hat sie vor einem Jahr ein eigenes und regierungsunabhängiges Institut für Umwelt und Entwicklung gegründet.

Im April dieses Jahres stellte das Post- und Telekommunikationsministerium mit dem ChinaNet einen ersten direkten kommerziellen Zugang zum Internet her. Bis dahin konnten sich nur Regierungs- und Militärbehörden und Universitäten einloggen. Gleichzeitig plant das chinesische Erziehungsministerium, mit dem Chinese Education and Research Network (Cernet) alle chinesischen Hochschulen in absehbarer Zukunft mit dem Internet zu verknüpfen.

Das alles sind erste Schritte, meint sie, auf dem Weg zu „einer Cyber-Gesellschaft, in der es keine Grenzen und keine politischen Streitereien gibt und wo die Menschen frei über alle Themen sprechen können“. In einem Land, dessen Behörden nach wie vor eine geradezu paranoide Geheimhaltungswut haben, ist dies ein gewagter Traum.

So hat es nicht an Warnungen gefehlt, und einzelne Funktionäre haben bereits erklärt, Lis Institut werde überwacht und müsse geschlossen werden. Li aber gibt sich optimistisch: Sie halte sich an die von der Regierung vorgegebenen Richtlinien über den Umgang mit digitaler Information, sagt sie. Ihre Forderung, man möge ihr schriftliche Belege über angebliche Gesetzesverstöße ihres Instituts vorlegen, blieb bisher ohne Antwort. „Sorgen mache ich mir über ein paar Individuen, die im Namen der Regierung auftreten und mir am Zeug flicken wollen, weil ich regierungsunabhängig bin und als Konkurrent betrachtet werde.“

Chinas herrschende Kommunisten befinden sich in einem Dilemma: Sie wollen ihre scharfe Kontrolle über einheimische und ausländische Medien aufrecht erhalten, gleichzeitig aber den stetigen Vormarsch der elektronischen Kommunikation nutzen. Ende Juni erklärte ein Vertreter des chinesischen Telekommunikationsministeriums bei einem internationalen Internet-Treffen in Hawaii, daß seine Regierung den Zugang zu unliebsamen Informationen blockieren werde. Er sagte allerdings nicht, wie.

Andererseits wollen die Politiker in Peking noch in diesem Jahrzehnt für die Verbesserung des nationalen Telekommunikatonsnetzes Milliarden Dollar ausgeben, weil sie offensichtlich erkannt haben, daß eine moderne Ökonomie moderne Technologie voraussetzt und nicht daran gehindert werden kann, sich über internationale Grenzen auszubreiten.

In den sechs Jahren seit den politischen Protesten vom Tiananmen hat die Regierung versucht, die Verwendung von Faxgeräten und den Empfang ausländischer Fernsehprogramme einzuschränken. Sie hat den privaten Verkauf von Satellitenschüsseln verboten, die in den Städten auf vielen Dächern zu sehen sind. Alles vergeblich.

Möglicherweise können das staatliche Monopol auf die Lieferung der Internet-Dienste und die sehr hohen Gebühren dafür sorgen, daß sich die Zahl der NutzerInnen nur langsam erhöht. Rund 110 Mark pro Monat für 40 Stunden Nutzung kostet der Zugang. Bis Ende Juni gab es nach Informationen der Far Eastern Economic Review nur 5.000 private Anschlüsse.

Als Li Lailai zum ersten Mal ihr Projekt in Angriff nahm, reagierte die Arbeitseinheit, die ihr den Büroraum stellt und für sie einige finanzielle und Verwaltungsaufgaben erledigt, skeptisch: „Sie machten sich Sorgen, wir würden vielleicht Staatsgeheimnisse verbreiten und Dinge in das Netz einbringen, die wir nicht einbringen sollten.“

Doch das sei gar nicht ihre Absicht, sagt die Soziologin, die in Jeans und einem Sweatshirt ihrer alten Universität Pittsburgh in ihrem Büro sitzt. Sie will die Bedürfnisse der ChinesInnen befriedigen, die nach Informationen über die Umwelt, über umweltverträgliche Entwicklung und neue Technologien hungern; sie will ihnen eine neue Gedankenwelt eröffnen, über die Verringerung von Plastikabfällen, über Energieeinsparung, Verminderung der Automobilabgase und andere Umweltprobleme.

„Ich will eine Technologievermittlerin sein“, sagt sie. „All diese Probleme müssen gelöst werden. Und es ist nicht so, als ob die Leute sich nicht ändern wollten. Sie wissen über diese Probleme einfach nicht Bescheid und erkennen nicht, wie dringlich sie sind.“

Li Lailai bekam Starthilfe von einem „Leadership for Environment and Development“ genannten internationalen Programm, das von der Rockefeller-Stiftung finanziert wird. Sie ist die chinesische Koordinatorin für die Ausbildung der TeilnehmerInnen, hat einen Computerraum mit gespendeter modernster Ausrüstung eingerichtet und sich zusätzlich darauf verlegt, E-Mail für nicht dem Programm angehörende Interessierte billiger anzubieten. Im nächsten Jahr soll sich die Teilnehmerzahl verdoppeln. In Zukunft plant sie zudem, potentiellen chinesischen Nutzern Informationen über ausländische Technologie zu verschaffen; sie will chinesische Erfinder unterstützen, Anwendungsmöglichkeiten für ihre Arbeiten zu finden; und sie will sich in der Förderung des Datenaustausches zwischen Forschern in verschiedenen Ländern engagieren.

„Auf diese Weise können sie sich an der Planung für die Zukunft ihrer Kinder beteiligen“, meint sie. „Und ... sie können auf diese Weise nationale Grenzen überspringen.“