Behördenschlacht um eine Rentnerin

Die vergeblichen Versuche eines deutsch-russischen Ehepaares, die Mutter aus Tadschikistan nach Deutschland einzuladen: Von der Willkür deutscher Behörden im Ausland  ■ Aus Berlin Karin Flothmann

Jeder Deutsche hat das Recht, Verwandte, die im Ausland leben, einzuladen. Jeder darf sich Hoffnungen machen, seine Verwandten zu sehen, wann immer es beliebt und der Geldbeutel es zuläßt. Theoretisch! Praktisch liegt die Erfüllung aller Wünsche in den Händen der deutschen Behörden im Ausland.

So warten seit mehr als einem Jahr Gerd B., ein gebürtiger Berliner, und seine russische Frau Lena auf den Besuch von Lenas Mutter, die in Tadschikistan lebt. Eingeladen wurde die Rentnerin Valentina K., 61 Jahre, ganz nach Vorschrift: in zweifacher Ausfertigung, auf deutsch und russisch, beglaubigt von einem Dolmetscher und der Einwohnermeldebehörde. In dem Antrag verpflichtet sich Gerd B., alle eventuell anfallenden Kosten für die Zeit des Besuchs in Berlin zu übernehmen. Daß er das kann, belegt die beigelegte Verdienstbescheinigung.

Als die Mutter und Schwiegermutter Valentina K. diese Unterlagen im Deutschen Konsulat ihrer Heimatstadt Duschanbe vorlegt, erklärt ihr ein Angestellter: Tut mit leid, die Unterlagen reichen nicht für ein Touristenvisum für Deutschland. Die Einladung müsse ein zweites Mal erfolgen – und zwar auf einem eigens dafür vorgesehenen Formular. Außerdem fehle eine Versicherungspolice im Original, die bestätige, daß Valentina K. für die Zeit ihres Berliner Aufenthalts krankenversichert ist.

Diese Reisekrankenversicherung, erklärt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes auf Anfrage der taz, sei nicht obligatorisch. Dennoch liege es „ganz im Ermessen der Botschaften“, solch eine Versicherung zu verlangen, bevor sie ein Touristenvisum ausstellen. Warum die deutsche Vertretung in Duschanbe nicht von vornherein eine Versicherungspolice forderte, weiß der Herr vom Auswärtigen Amt nicht.

Für Gerd und Lena B. beginnt deshalb im Januar 1995 die Einladungsprozedur von vorn. Allein für den Kurierdienst, der die Originalpolice der Krankenversicherung nach Duschanbe befördert, zahlen sie siebzig Mark. Im guten Glauben, die Formalitäten seien damit erledigt, schließen sie eine Versicherung für die Zeit von April bis Juli 1995 ab. Ein durchaus realistischer Zeitraum, meint der Sprecher vom Auswärtigen Amt. „Wie naiv von uns“, sagt heute dagegen Lena B., „hätten wir uns doch besser auf drei Jahre eingestellt!“

Denn mittlerweile ist die Versicherung längst verfallen. Als Valentina K. im März die zweite Variante aller Unterlagen im Deutschen Konsulat von Duschanbe vorlegt, wird ihr die Ausstellung erneut kategorisch verweigert. „Hätten Sie nicht erzählt, daß sie Verwandte besuchen wollen, dann Einmal kein Visum, niemals ein Visum

hätten Sie vielleicht ein Visum bekommen“, erklärt ein Konsulatsangestellter der Rentnerin. Weiter bemühen brauche sie sich auch nicht, denn: Einmal kein Visum, niemals ein Visum! Als Valentina K. Aufklärung erbittet, erhält sie die schnoddrige Antwort, Ablehnungsgründe brauche man ihr laut Paragraph 66 Absatz 2 Ausländergesetz nicht zu erklären. Die gleiche Antwort erhält Gerd B., nachdem er einen Beschwerdebrief an das Auswärtige Amt geschickt hat.

Sabine Kriechhammer-Yagmur von der Initiative mit Ausländern verheirateter Frauen (IAF) kennt das Problem. Aus ihrer Praxis weiß sie, daß die deutschen Behörden insbesondere die „Rückkehrwilligkeit“ der Gäste überprüfen. Probleme haben nach ihrer Erfahrung vor allem „junge Männer, die ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet haben, und Menschen im Rentenalter“.

Valentina K. hat inzwischen erneut einen Versuch unternommen, im Deutschen Konsulat von Duschanbe vorzusprechen. Am Telefon erzählt sie anschließend ihrer Tochter: „Ich habe ein paarmal versucht, ins Botschaftsgebäude zu kommen, aber die Wärter mit ihren Maschinenpistolen haben mich nicht vorbeigelassen.“ Die Rentnerin hat Angst vor diesen Männern. „Die sind alle bewaffnet wie im Zweiten Weltkrieg.“ Und den kennt die alte Frau gut. Valentina K. stammt aus einem Dorf in der Nähe von Moskau. 1942 jagten deutsche Soldaten, mit dem Gewehr im Anschlag, sie, ihre Mutter und die Geschwister aus dem Haus. Die Vorräte wurden geplündert. Vier Brüder Valentinas verhungerten.

„Warum sagen sie einem nicht von Anfang an, daß Verwandte aus Tadschikistan nicht nach Deutschland zu Besuch kommen dürfen?“ fragt sich Gerd B. inzwischen. Nachdem er in weiteren Briefen angefragt hat, warum seine Schwiegermutter kein Visum erhält, erreicht ihn im April ein Antwortschreiben von Karl-Heinz Kuhna aus Usbekistan. Kuhna ist der für Tadschikistan zuständige Botschafter mit Sitz in Taschkent. Ein Visum habe nicht erteilt werden können, heißt es in dem Schreiben, da kein Rückflugticket für Valentina K. vorgelegen habe. Von solch einem Flugticket, so Gerd B., war zuvor nie die Rede gewesen. Valentina K. wollte zunächst von Duschanbe mit dem Zug nach Moskau fahren. Von dort wollte sie ein Flugticket nach Berlin kaufen. Doch möglich ist dies nur unter Vorlage des Visums.

„Wieso dieses Katz-und-Maus- Spiel?“ fragt sich auch Lena B. „Früher war die Sowjetunion ein Land mit geschlossenen Grenzen, heute ist das anscheinend Deutschland.“ Valentina K. gelingt es im Juli doch noch, im Konsulat von Duschanbe vorzusprechen. Die dortige Auskunft lautet: „Bis Ende des Jahres stellen wir gar keine Visa für Deutschland mehr aus.“