36 Grad in Potsdam

■ Flamenco im August: noch heißer. Flamenco im August in Potsdam: 360 Wer mag, kann zum Volkstanzkursus eine gediegene Paella zu sich nehmen

Das Waschhaus Potsdam, das sich das Schleuderprinzip „nicht unter 360“ zum Programmkonzept gemacht hat, verspricht glühenden Flamenco nach brütender Hitze: In vier lauen Sommernächten findet dort dieses Wochenende das Flamenco-Festival statt. Hitzeungewohnte Nordeuropäer haben damit die Chance, bezeichnenderweise in einem Waschhaus das spanische Patentrezept für Abkühlung zu erproben: schweißtreibende Hitzewallungen.

Chefwäscher Michael Wegener und Flamencotänzerin Katja Piening haben ein Programm erstellt, das nicht nur durch ansehnliche Vielfalt, sondern auch durch seine lupenreine Qualität überzeugt. Der Trend geht zum ganzheitlichen Festival-Erlebnis: „studieren, probieren, selber spielen“.

Studieren kann kann man den Flamenco in seinen drei Ausdrucksformen: Gitarre, Gesang und Tanz. Und in zwei Ausstellungen: der expressionistisch-abstrakten Gemälde von Antonio G. Serrano sowie der Porträts zahlreicher Flamenco-Interpreten des Fotografen Tato Olivas.

Wer mag, kann eine Gazpacho zu sich nehmen, eine satte Paella oder einen kräftigen Schluck Tio Pepe. Nach den Aufführungen bieten sich dazu die Rumba- und Salsa-Nächte an, oder man lernt gleich während der Performances ein urtypisches spanisches Instrument spielen: „tocar las palmas“: in die Hände klatschen. Bessere Lehrer hierzu lassen sich selbst in Spanien nicht finden; am Donnerstag geben der Sänger Antonio Malena und der Gitarrist Domingo Rubichi, beide aus ehrwürdigen, international gefeierten Flamenco-Familien, ein traditionelles Konzert.

Mit ihren „coplas“, den Flamenco-Liedern, zeigen sie den Flamenco in seiner ursprünglichen Version als reine Gesangskunst. Schmerz und Leidenschaft bilden die Quintessenz des Flamenco, der das Medium der Armen und Minderheiten war. Unter Leitung der Tänzerin und Sängerin Ana Maria Lopez präsentiert die Gruppe „Semilla Flamenca“ den „baile“ in seiner volkstümlichen Form. Besonders apart: Patricia Ibanez.

Am Samstag sind zwei Flamenco-Koryphäen zu Gast: der Gitarrist Gerardo Nuñez und seine Frau, die Tänzerin Carmen Cortés. Nuñez, der als neuer Paco de Lucia gilt, hat sich während seiner New-York-Aufenthalte Jazz und Blues für seine Musik zu eigen gemacht. Carmen Cortés, eine ausgebildete klassische Tänzerin, hat den Flamenco nicht nur stilisiert, sondern auch um Jazz- und Modern-dance-Elemente erweitert.

Den abschließenden Höhepunkt am Sonntag bildet die weltberühmte Tänzerin Maria Pagés, die als Protagonistin in den Kinofilmen „Carmen“ (1983) und „Flamenco“ (1995) von Carlos Saura ein internationales Tanzfieber entfachte, das bis heute anhält.

Für alle Flamenco-Fanatics bietet sich die Viertagekarte für 60 Mark an. Ansonsten schwanken die Preise zwischen 20 und 80 Mark. Als fulminanter Abschluß verheißt das Feuerwerk am Sonntag garantiert 360. Patricia Caspari

Wirkt wie ein Naturereignis

Carmen Cortés und Gerardo Nuñez: Sie gilt als eine der ausdrucksstärksten Flamenco-Tänzerinnen, er steht für eine neue Ära der Flamenco-Gitarre: Beide zählen mittlerweile zu den Superstars ihres Fachs. Beim Flamenco-Festival im Waschhaus Potsdam sind sie erstmals gemeinsam zu erleben.

taz: Der Flamenco mit seiner jahrhundertealten Tradition kann selbst heute, im Zeitalter des Techno und der Popkultur bestehen. Wie finden junge Leute immer wieder einen Zugang zu dieser beinahe religiös zelebrierten Kunst?

Carmen Cortés: Vielleicht liegt das daran, daß der Flamenco eben nichts Elitäres oder Religiöses im Sinne eines vorgeprägten Kunstkatechismus ist. Der Flamenco ist zu allen Zeiten eine Volkskunst gewesen. Das war vor fünfhundert Jahren so, als er in Andalusien unter Zigeunern und in den ärmeren Bevölkerungsschichten entstand, und das ist heute nicht anders. Jeder in dieser Region, dem Gerardo, wird mit dem Flamenco groß. Darüber hinaus hat sich er sich auch ständig weiterentwickelt. So blieb er lebendig und authentisch.

Dennoch ist Flamenco heute nicht mehr nur die Musik einer Region. Hat der Flamenco seine ursprüngliche Heimat verloren?

Nein, natürlich nicht. Der Flamenco ist in erster Linie Teil der Kultur des andalusischen Volks, der Kultur seiner gelebten Gegenwart. Aber er ist eben nicht die bloße Widerspiegelung eines lokalen Alltags oder die künstlerische Darstellung von Gefühlen. Der Flamenco bedeutet mehr. Zum einen hilft er, den gelebten Moment zu intensivieren, zum anderen ist er die Quelle einer visionären Energie, die das Leben erst lebenswert macht.

Deine Auftritte hinterlassen immer den Eindruck eines Naturschauspiels, so jedenfalls wird es von vielen erlebt, und so sind ja auch die entsprechenden Filme inszeniert. Kann eine Tanzausbildung so etwas vermitteln?

Wichtig ist es, den Flamenco als Basis zu verwenden, auf der man dann künstlerisch aufbauen kann. Die Technik, die expressiven Elemente, die Figuren – das alles dient der Beschreibung einer inneren Welt. Ich bemühe mich, ständig neue Formen und ein hohes Niveau der Tanzukunst zu entwickeln. Interview: Katja Piening

und Karl Doll

„Flamenco-Festival“, 10.–13. August, täglich ab 21 Uhr im Waschhaus Potsdam, Schiffbauergasse 1, Potsdam; Infos und Karten unter 0331/2800869