Nach der Lehre Absturz in die Arbeitslosigkeit

■ Marco Steegmann (28), DGB-Jugendsekretär, zur drastischen Zunahme der Jugendarbeitslosigkeit: „Ausbildungsunwillige Betriebe zur Kasse bitten“

taz: Die Arbeitlosigkeit bei Jugendlichen unter 20 Jahren ist im letzten Monat in Berlin um 15 Prozent und in Brandenburg um 35 Prozent gestiegen. Insgesamt gibt es in Berlin und Brandenburg 8.737 arbeitslose Jugendliche – im Vormonat waren es 7.093. Woher kommt dieser Anstieg?

Marco Steegmann Jugendsekretär beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB): Diese Zahlen kommen zum einen dadurch zustanden, daß nicht alle Jugendlichen, die eine Ausbildung suchen, auch eine finden, sondern zu Tausenden in vollzeitschulischen Maßnahmen landen. Diese Maßnahmen laufen teilweise nur ein Jahr. Danach landen viele Jugendliche dann wieder in der Arbeitslosenstatistik.

Wir haben auch eine Zahl Jugendlicher, die im letzten Jahr eine Ausbildungsplatz abbekommen haben, die aber jetzt wieder aufgehört haben, weil diese Ausbildung nicht ihren Vorstellungen entspricht. Wer Bürofachfrau werden will und nur eine Ausbildung zur Gebäudereinigerin bekommen hat, der bekommt rasch Probleme mit der Arbeit. Dann sind in den Zahlen Jugendliche enthalten, die keine Ausbildungsstätte bekommen haben und vielleicht nur rumjobben und nun mal wieder arbeitslos geworden sind.

Schulabgänger sind in der Arbeitslosenstatistik noch nicht enthalten, weil sie ja noch nie berufstätig waren?

Richtig. Die sind nicht arbeitslos, die sind als arbeitssuchend gemeldet und tauchen auf in der Rubrik „nicht vermittelte Bewerber“.

Warum steigt die Zahl aber gerade im Juli so gewaltig an?

Man könnte einerseits vermuten, daß die Aktion des Arbeitsamtes, beschäftigungslose Jugendliche überhaupt dazu zu bewegen, sich arbeitslos zu melden, um für diese dann Ausbildungsstellen zu suchen, erfolgreich war. Gerade bei der Jugendarbeitslosigkeit gibt es eine große Dunkelziffer – in Brandenburg erst recht. Dann haben wir das Problem der Übernahme. Viele Jugendliche erhalten nach dem Ende der Lehrausbildung keinen Anschlußarbeitsplatz. Jetzt ist die Zeit, wo mit bestandener mündlicher Prüfung das Ausbildungsverhältnis endet. Die Übernahme ist das zentrale Problem bei Jugendlichen nach dem Ende einer Ausbildung. Wir wollen tarifvertraglich absichern, daß die wenigstens ein halbes Jahr übernommen werden. Dann haben Jugendliche einen Anspruch auf Arbeitslosengeld entsprechend ihres letzten Gehalts.

Ist die außerbetriebliche Ausbildung eine Lösung?

Nein. Viele Jugendliche – besonders in Brandenburg – werden außerbetrieblich ausgebildet. Von diesen Jugendlichen wandern danach aber achtzig Prozent in die Arbeitslosigkeit.

Es ist doch aber nicht sinnlos, daß das Land diese außerbetriebliche Ausbildung für all diejenigen anbietet, die keine Lehrstelle im Betrieb erhalten haben und ansonsten auf der Straße stünden.

Richtig. Aber es ist keine Lösung. Man muß vielmehr darüber nachdenken, wie die großen Betriebe dazu gebracht werden, mehr auszubilden. Viel Ausbildungskapazität steht dort leer. Außerbetriebliche Ausbildung ist ein großes Problem, weil die dort Ausgebildeten in vielen Fällen in ihrem erlernten Job ganz wenig Chancen haben. Die fragen in der Regel dann eine zweite Ausbildung nach. Da gibt es richtige Maßnahmenkarrieren. Diese Jugendlichen landen dann später auch oft in AB- Maßnahmen.

Ein zweites Problem sind die Schulabgänger, die ihre Lehre zum 1. September beginnen. Wie sieht es mit Ausbildungsstätten aus?

Derzeit suchen noch mehrere tausend Schulabgänger nach einer Lehrstelle. Es hat sich gezeigt, daß sämtliche Appelle an die Wirtschaft, ihre Ausbildungskapazitäten zu erhöhen, nicht zum Ziel geführt haben. Wir erreichen bei weitem nicht soviel Ausbildungsplätze, wie es Bewerber gibt. In der Region Berlin-Brandenburg fehlen 12.000 Ausbildungsplätze. Wir fordern, die Unternehmen zur Kasse zu bitten, die nicht ausbilden. Das soll den Betrieben zugute kommen, die ausbilden. Das Handwerk beispielsweise hat die Zahl der Ausbildungsplätze um 10 Prozent ausgeweitet. Bei der Industrie wird dagegen nicht einmal das Niveau von 1994 gehalten, obwohl es dieses Jahr mehr Bewerber gibt. Interview: Gerd Nowakowski