Plüschtier Heinrich

■ Fackelte nicht lange: Zwei Ausstellungen in Braunschweig gedenken Heinrichs des Löwen, den schon das 19. Jahrhundert als großen deutschen Einiger feierte

Ein Porträt von ihm existiert nicht, aber ein Bild von ihm hat sich jede Zeit gemacht: Heinrich der Löwe, dessen Tod vor 800 Jahren mit zwei punktgenau am 6. August eröffneten Ausstellungen in Braunschweig gedacht wird.

Als Sohn Heinrichs des Stolzen von Bayern, Schwiegersohn des englischen Königs Heinrich des II., Vater Kaiser Ottos IV., vor allem aber Vetter, Lehensmann und Gegenspieler des Stauferkaisers Friedrich I. Barbarossa gehört der Welfenherzog von Sachsen und zeitweilig auch Bayern zu den mächtigsten Herrschergestalten des Hohen Mittelalters.

Selbst Enkel eines Kaisers, Lothars III., hatte Heinrich wohl Ansprüche auf die Krone geltend gemacht, dann aber zugunsten des 1152 gewählten Staufers verzichtet. Dafür ließ ihm der Kaiser zunächst freie Hand beim Ausbau seines Reiches im Norden und gestattete ihm sogar, das königliche Recht der Bischofsinvestitur auszuüben. Rigoros beschnitt Heinrich, dem eine relativ unbekümmerte Durchsetzungskraft bei eventueller Umgeheung der Gesetze eigen war den sächsischen Adel und Klerus in seinen Rechten. Durch Eroberungsfeldzüge gegen die Wenden und Slawen im Osten erweiterte er sein Territorium nach außen, als Gründer und Förderer von Bistümern und Städten festigte er seine Macht im Innern. Wo etwas zu holen war, fackelte er nicht lange: so ließ er zum Beispiel an der Salzhandelsstraße von Reichenhall nach Augsburg eine Isarbrücke, Markt- und Münzstätte zerstören, um nicht weit davon selbst eine neue zu errichten, aus der sich später die Stadt München entwickeln sollte.

Indes verdanken wir Heinrichs Initiative die Entstehung zahlreicher hochrangiger Werke der Buchmalerei, Goldschmiede- und Bronzekunst – den „Kunstkreis Heinrich des Löwen“ (G. Swarzenski). Und 1166 ließ Heinrich auf dem Braunschweiger Burgplatz ein Löwenstandbild errichten – die erste freistehende Bronzeplastik nördlich der Alpen und eines der großartigsten Zeugnisse romanischer Bronzekunst überhaupt.

Bereute der ehrgeizige Herzog irgendwann den Verzicht auf die Krone? Jedenfalls verweigerte er 1176 in Chiavenna dem Kaiser die Unterstützung für seinen Italienfeldzug beziehungsweise forderte als Gegenleistung die Reichsstadt Goslar. Damit überspannte er jedoch den Bogen: er mußte seine Reichslehen abtreten und 1181 ein erstes Mal, 1189 ein zweites Mal in die Verbannung nach England gehen. Doch der Vergangenheit anheimgefallen ist der Gestürzte nach seinem Tod am 6. August 1195 deswegen noch lange nicht, wie die Ausstellung „Nachleben 1195–1995“ im braunschweigischen Landesmuseum belegt. Sie zeigt zugleich ein Stück Geschichte der Geschichtsschreibung. Schadows kühle, idealisierende Büste, 1811 für die Walhalla bei Regensburg geschaffen, stellt den Herzog in die Reihe großer Deutscher, deren Vorbild in den Befreiungskriegen dem nationalen Selbstbewußtsein aufhelfen sollte. Nach 1848 wurde der renitente Welfe zum Protagonisten zahlreicher, von der zeitgenössischen Geschichtsschreibung inspirierter Historienbilder. Zwei Motive, der Kniefall Barbarossas vor Heinrich in Chiavenna 1176 und der des Herzogs vor dem Kaiser auf dem Erfurter Reichstag 1181, erscheinen dabei vor dem Hintergrund der Diskussion um Stärkung oder Schwächung der Zentralmacht, um großdeutsche oder kleindeutsche Lösung. Eine hölzerne Heinrich-Statue, in die man gegen eine Spende einen Nagel einschlagen durfte, spornte im Ersten Weltkrieg die Opferbereitschaft fürs Vaterland an. Den Nationalsozialisten schließlich bot Heinrich sich als Identifikationsfigur für ihre nach Osten gerichteten Expansionsbestrebungen an.

Der von ihm gestiftete Dom in Braunschweig – der Stadt, die Hitler 1932 die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen und ihm damit die Kandidatur für die Reichstagswahlen 1933 ermöglicht hatte – wurde zur nationalen Weihestätte umgestaltet: Propaganda statt Predigt. Für die bei der Graböffnung 1935 gefundenen Haarlocken Heinrichs und Mathildes wurde ein teurer Schrein angefertigt. In entstellender Weise nimmt er Bezug auf die Reliquiare, die zumWelfenschatz des Doms gehören.

Und heute? „Vom Haudegen zur Sympathiefigur“ oder „Heinrich das Plüschtier“, ließe sich das jüngste Kapitel der Rezeptionsgeschichte überschreiben.

Der Löwe in Porzellan und Marzipan oder zum Knuddeln aus Stoff, auf Briefmarken und Telefonkarten, die längst selbst wieder Ausstellungsobjekte geworden sind, auf Kaffeedosen und Bierwerbung. Und im Dom ließ man es sich nicht nehmen, den Marienaltar von 1188 in einem medienwirksam inszenierten Gottesdienst zu öffnen und vor laufenden Fernsehkameras die darin eingeschlossenen Reliquien herauszuholen.

Die Landesstellung „Heinrich der Löwe und seine Zeit“ des Herzog Anton Ulrich-Museums in der historischen Burg Dankwarderode, versucht in sieben Abteilungen ein kulturhistorisches Bild der Epoche zu zeichnen.

Mit 500 aus Deutschland, England, Frankreich und den USA zusammengetragenen Exponaten, darunter die Ebstorfer Weltkarte, die Aachener Wölfin, die Schachfiguren von Lewis, einige Stücke des Welfenschatzes, das Heimarshausener Evangeliar, der Abdinghofer Tragaltar und der Kaisermantel Ottos IV., kommt ihr der Löwenanteil am gesamten Ausstellungsprojekt zu.

Einbezogen ist der Dom mit den von Heinrich gestifteten Ausstellungsstücken, dem Marienaltar, dem Siebenarmigen Leuchter, dem Imervard-Kruzifix sowie dem um 1235/40 entstandenen Grabmal, das ihn und Mathilde in idealisierter jugendlicher Schönheit wie schlafend darstellt.

Eine Bleiplakette aus dem Marienaltar läßt auf der Rückseite ganz klein das Gesicht eines vergrämten alten Mannes, darunter einen winzigen Löwen, erkennen. Doch ein Porträt Heinrichs? Mit dem Bild des fast sechzigjährigen Herzogs, der zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr auf dem hohen Roß saß, würde es jedenfalls zusammengehen. Regine Nahrwold