Kickende Klischees

■ Rostock verliert so erwartungsgemäß wie unverdient 1:2 gegen Leverkusen

Rostock (taz) – Als Leverkusens Markus Feldhoff den Ball elegant zum 2:1 über Rostocks Keeper Perry Bräutigam gelupft hatte und in Vollstreckerpose abdrehte, nahm Frank Pagelsdorf einen unendlich langen Schluck aus der Wasserflasche. Keine Hektik, kein hemmungsloser Brüller, nur ein Moment der Traurigkeit. Auch in der Niederlage festigte der Trainer des FC Hansa Rostock seinen Ruf. Er sei ein Eisvogel, heißt es, aus der Ruhe bringt den Mann so leicht nichts. Verloren hat sein Team vor der Rekordkulisse von fast 26.000. Es war ein Spiel mit allen Klischees.

So heißt es zum Beispiel, Bernd Schuster sei ein am Ball genialer, aber großväterlich langsamer Gesell. Schuster zeigte tatsächlich Respekt vor Rostocks blutjungen Flitzern, seine Spielintelligenz verpuffte deshalb weitgehend am eigenen Strafraum. Einmal nur trottete der langmähnige Pferdezüchter in Halbzeit eins vor das Rostocker Tor. Und schon war es geschehen. Freistoß, 1:0, unhaltbar abgefälscht zwar vom Hanseaten Dirk Rehbein, doch ein weiteres Klischee wurde damit bedient: Schuster kann Freistöße treten.

Daß Schuster es nicht mag, wenn ihm ein anderer, noch dazu namenloser Profi den Ball abjagt, weiß man ebenfalls. Mitunter versucht er deshalb, den Lauf der Dinge mit einem Fußtritt aufzuhalten. Dafür zeigte ihm Schiedsrichter Malbranc aus Hamburg auch diesmal Rot. Rostocks Torschütze Steffen Baumgart: „Er hat mich getreten, der Schiri hat gesehen, daß es Absicht war.“ Eine Aktion, die Leverkusens Manager Rainer Calmund erzürnte: „Der Schuster muß sich unter Kontrolle haben, darüber werden wir noch reden.“ Trainer Erich Ribbeck dagegen hatte von seinem Sitzplatz aus „nichts gesehen“. Auch das gehört zu den Klischees der Branche: Ribbeck ist nicht eben als Fachkraft verschrien.

Kommen wir schließlich zu den Rostocker Aufsteigern. Eine talentierte Truppe mit grandiosen Solisten am Ball – doch Cleverness würde ihnen fehlen, hieß es vor Saisonbeginn. Und genau das hat sich bestätigt. Zweitliga-Star Stefan Beinlich etwa war einfach nur „aufgeregt“. Ihm mißlangen selbst einfachste Übungen im Mittelfeld. Aber auch mit einem indisponierten Beinlich stürmte Hansa unentwegt. „Ich habe geschrien, Mensch, rennt doch nicht alle nach vorn“, klagte Tormann Bräutigam danach, doch seine Kollegen blieben unvorsichtig. Libero Zallmann dribbelte in Minute 87 am gegnerischen Strafraum, verlor den Ball, Holger Fach paßt auf Feldhoff, der schießt ins Tor.

„Vielleicht hätten wir den Fach einfach umsensen müssen?“ fragte sich René Schneider. Doch das wäre gerade nicht der Rostocker Stil. Sie wollen spielen und nicht holzen. Wie lange sie dieses Klischee allerdings gegen die übermächtigen Klischees des gerade begonnenen Abstiegskampfes verteidigen können, muß sich erst noch erweisen. Jens Weinreich