"Blavatzkys Kinder" - Teil 25 (Krimi)

Teil 25

„Indoktriniert sollten die Kleinen werden. Und mit was für einem Dreck. Lies mal, was Steiner über die sogenannten Neger schreibt, widerliches rassistisches Zeug ...“

„Steiner hat nie rassistische Thesen vertreten“, erwiderte Tommy unsicher.

Renate wandte sich ihm zu. „So? Er hat schwangere Frauen gewarnt, keine Negerromane zu lesen, weil sonst die Gefahr, wohlgemerkt die Gefahr, drohe, daß sie ,Mulattenbabys‘ bekämen. Er hat in seiner sogenannten Wurzelrassentheorie, einer völlig bescheuerten Evolutionstheorie à la Blavatzky, erläutert, warum Mongolen, Indianer und Neger den arischen Europäern unterlegene Rassen seien. Der Neger, wie er ihn nannte, könne nicht denken und würde nur seinen Trieben folgen, das käme von der Hitze in Afrika...“

Richard lachte. „Tommy, Renate hat recht.“

„Lies die Akasha- Chronik“, antwortete Renate, „ich kann's mir nicht verkneifen, mein Lieblingszitat von Steiner vorzulesen.“

Sie kramte in ihrem Portemonnaie und holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Tasche, das sie glättete.

„Hört zu, wenn ihr wissen wollt, wie es um die von Steiner so gerühmte besondere ,arische Denkkraft‘ bestellt war: ,Das, was wir heute als Kopf an uns tragen, das ist der umgestaltete Leib aus der früheren Inkarnation, im früheren Erdenleben. Dabei erstrecken die Beine sich als Sehfühlfäden aus den Augen heraus, um da höchst beweglich auf die Farbe zu treten, während die Arme so ätherisch geworden (sind), daß sie sich jetzt bei den Ohren heraus erstrecken und die Töne berühren.‘“

Karo, die Jüngste in der Runde, fiel fast vom Stuhl bei dem Versuch, Sehfühlfäden aus ihren Augen heraustreten zu lassen und ihre gar nicht ätherischen Arme auf eine Weise aus den Ohren herauszustrecken, so daß sie die Töne berühren konnten. Sie brüllte vor Lachen. Angie starrte sie beleidigt an.

„Geht nicht“, keuchte Karo und rollte mit den Augen.

Renate blätterte in ihrem Notizbuch. „Die Eibner hat übrigens in ihrem Vortag Blavatzky zitiert. Die Stelle stammt aus der ,Geheimlehre‘ Band 2 und lautet wirklich: ,Ein Decimierungsvorgang findet über die ganze Erde statt unter jenen Rassen, deren Zeit um ist. Es ist ungenau zu behaupten, daß das Aussterben einer niederen Rasse ausnahmslos eine Folge der von den Kolonisten verübten Grausamkeit oder Mißhandlungen sei. Rothäute, Eskimos, Papuas, Australier, Polynesier usw. sterben alle aus. Die Flutwelle der inkarnierten Egos ist über sie hinweggerollt, und ihr Verlöschen ist daher eine karmische Notwendigkeit.‘“

„Also Renate, das stimmt nicht. Das hat die Eibner so nicht gemeint.“

Maja meldete sich das erste Mal zu Wort. Sie war eine mittelgroße dicke Frau, die unzufrieden mit ihrem Leben war und seit einiger Zeit an Reinkarnation glauben wollte.

„Gertrud Eibner hat das wortwörtlich gesagt.“

„Nein, nein. Aber der Zusammenhang war doch ein anderer. Das hat sie richtig gut erklärt.“

Richard ging dazwischen.

„Wir hatten verabredet, heute den Vortrag auszuwerten. Also tun wir das. Und zwar gründlich. Ich bin dafür, daß Renate weiter ausholt und erklärt, was es mit der Blavatzky auf sich hat. So war's ja auch vorbereitet. Und anschließend kommt Sabine dran. Einverstanden?“

Er sah in die Runde. Sabine nickte gequält. Maja senkte den Blick. Tommy schwieg. Angie maulte. Renate begann: „Blavatzky definierte Theosophie, wie erwähnt, als ,Weisheitsreligion oder göttliche Weisheit‘: die Grundlage und der Extrakt aller Weltreligionen und Philosophien, gelehrt und praktiziert von einigen Auserwählten. Diese Auserwählten sind in ihren Augen Teil jener ,planetarischen Hierarchie‘ geheimnisvoller Meister, die von Theosophen gemeinhin auch als die zum Wohle der Menschheit wirkende Große Weiße Bruderschaft bezeichnet wird. An der Spitze der Hierarchie stehen als ,vollkommene Meister‘ menschlich-göttlicher Entwicklung Krishna, Buddha und Jesus Christus.

Aus der Theosophie entwickelte sich nicht nur die Anthroposophie – die meisten New-Age- Strömungen lehnen sich an die Theosophie der Blavatzky an. Der Mythos von der Großen Weißen Bruderschaft findet sich im New Age transformiert als ,rein positives Denken‘. Auch Hitler schätzte die ,Geheimlehre‘ und ganz besonders die in ihr propagierte Wurzelrassenlehre.“

„Schon wieder Hitler“, stöhnte Angie.

„Ja, schon wieder Hitler“, wiederholte Renate und fuhr fort. „Unter Wurzelrassen versteht man in theosophisch-esoterischen Kreisen sieben aufeinanderfolgende ,Menschenrassen, die sich während der Zeitenrunde planetarischer Existanz auf einem Planeten entwickeln‘. Jede Wurzelrasse zerfällt wiederum in sieben Unterrassen, die evolutionär aufeinanderfolgen, behaupten die Theosophen, und so eine Kette menschlicher Entwicklung bilden. Diese Ordnung ist eine extrem hierarchische.

Die ersten beiden ,Wurzelrassen‘ gab es angeblich vor dreißig beziehungsweise vierzig Millionen Jahren. Sie hatten nur wenig vom heutigen Menschen an sich. Ihre Körper waren ,astral-ätherisch‘ und geschlechtslos, erst mit der dritten Wurzelrasse, der ,lemurischen‘, setzte die eigentliche menschliche Entwicklung ein. Diese ,Ungeheuer, aus denen die niederen Menschenrassen entsprangen, die jetzt auf Erden durch ein paar elende, aussterbende Stämme und die großen, menschenähnlichen Affen repräsentiert sind‘. Ein letzter Rest dieser ,halbtierischen Geschöpfe‘ seien Teile der Australier, also die Aborigines, oder die Menschen auf Borneo. Viele Theosophen bezeichnen sogenannte Schwarze insgesamt als Nachfahren der Lemurier.“

Fortsetzung folgt