"Die Punks wollten eine Fete feiern"

■ Chaostage in Hannover: Der Einsatzleiter der Polizei, Uwe Wiedemann, im Streitgespräch mit dem Punk-Journalisten Karl Nagel über die brennende Frage: Wer warf den ersten Stein? Keiner will's gewesen se

taz: Zoff und Randale an den Chaostagen – auch 1995 haben sich die Erwartungen von Polizei und Punks erfüllt.

Karl Nagel: Die Punks wollten eine Fete feiern. Die Polizei hat gesagt, sie wolle deeskalieren. Ihre Praxis hat allerdings anders ausgesehen.

Uwe Wiedemann: Den Begriff der Deeskalation haben wir nicht benutzt. Ich habe meine Beamten angehalten, nicht pauschal alle Punks als gewalttätig einzustufen. In einem abgestuften Einsatzkonzept hatten wir die Stärke der Einsatzkräfte den zu erwartenden Punks angepaßt. Überrascht hat uns dann die bedingungslose, absolute Brutalität.

Nagel: Ab Dienstag war ständig Polizei am Bahnhof, aber junge Beamte in T-Shirts, die außerordentlich locker mit den Leuten umgegangen sind. Das hat die Stimmung nicht verdorben. Damit sind die Punks klargekommen. Donnerstag um 2 Uhr tauchten dann plötzlich 150 Behelmte mit Schilden und Knüppeln auf und haben alle aus der Stadt geschmissen. Von wegen Differenzierung. Die Polizei hat nicht gesagt: Der da muß weg, der hat gegen einen Baum gepinkelt. Oder der da, der hat eine Flasche zerdeppert. Nein, alle mußten weg. Das gleiche ist zwei Stunden später in der Nordstadt gelaufen.

Wiedemann: Es wurden am Bahnhof immer mehr Punks, die Belästigungen, die Flaschenwürfe, das aggressive Betteln nahmen zu. Wir haben die Leute am Bahnhof dann ja nicht in Gewahrsam genommen, sondern des Platzes verwiesen, was die mildeste Form der Einschränkung von Bewegungsfreiheit ist. Wir haben den Punks sogar einen Reserveplatz angeboten.

Nagel: Vorher hatten die Punks am Bahnhof ein fast kindisches Vertrauen zur Polizei, sind sogar mit in die grünweißen Autos gestiegen, um mal am Funkgerät zu spielen. Wenn da einer 'ne Flasche geworfen hat, haben die anderen geschrien: Aufhören, ey, aufhören. Wieso konnte man plötzlich mit den Punks nicht mehr reden?

Wiedemann: Der Einsatzführer vor Ort hat die Lage eingeschätzt und dann die mit mir abgestimmten erforderlichen Maßnahmen ergriffen. Ich bedaure im nachhinein, daß ich am Donnerstag nicht selbst vor Ort war.

Nagel: Diese 16jährigen Punks sagen sich einfach: Das lass' ich mir nicht noch einmal gefallen. Später in der Nordstadt auf dem Sprengelgelände glaubten die dann: Das ist der letzte Platz, wo wir vor der Polizei sicher sind. Da durften die nicht mal mehr in die nächste Pizzeria gehen. Da wurden dann Barrikaden gebaut.

Wiedemann: Herr Nagel, wenn das schon der Anlaß war für die absolute Gewaltanwendung, dann können wir hier nur noch über den Zeitpunkt des Ausbruchs streiten. Sie sagen ja, daß dieser Punkt mit absoluter Sicherheit gekommen wäre.

taz: Die Polizei verhängte Stadtverbote nicht nach Taten, sondern nach der äußeren Erscheinung. An Kontrollstellen selektierte sie, nach Frisur, Kleidung, Alter.

Wiedemann: Davor lag die schlimme Nacht von Donnerstag auf Freitag, die außergewöhnlichen Gewaltanwendungen mit Verletzungen auf seiten der Polizei, mit schlimmen Bildern auf seiten der Punks. Danach war schlicht eine Differenzierung nicht mehr möglich.

taz: Steine geworfen haben an dem Donnerstag vielleicht 150. Für deren Verhalten haben Sie 2.000 oder 3.000, die noch nach Hannover unterwegs waren, verantwortlich gemacht.

Wiedemann: Das ist nicht richtig. Da kommt einiges hinzu: Wir hatten europaweit um Lageerkenntnisse gebeten und waren über das Anreisen zahlreicher gewaltgeneigter Gruppen aus deutschen, europäischen Städten informiert worden. Wir haben trotzdem immer einen Park, den Georgengarten, als Rückzugsgebiet für friedliche Punks angeboten. Bis auch dort eine Gruppe Polizeibeamte mit Flaschen bewarf und wir auch dort geräumt haben.

Nagel: Wenn 500 Meter weiter die Leute eingemacht werden, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die feiernden Leute auch bald die Nase voll haben. Daß der Georgengarten der legale Sammelpunkt ist, wurde den Punks nie gesagt. Auch von den angekündigten roten Begrüßungsflugblättern, die die Punks zur Fete willkommen heißen und sie vor Ordnungswidrigkeiten und Straftaten warnen sollten, ist nie eines verteilt worden.

Wiedemann: Falsch. Ich weiß, daß der Bundesgrenzschutz Bahn diese Flugblätter verteilt hat. Ab Freitag morgen allerdings, nach dieser Nacht mit fünfzig verletzten Polizisten, nicht mehr. Das entsprach einfach nicht mehr der emotionalen Lage der Beamten.

taz: Dafür hat sich ein ganzer Polizeizug mit Steinen munitioniert und Punks angegriffen.

Wiedemann: Die Polizei mußte ran, weil die Beamten sich nicht umdrehen konnten, ohne die Steine in den Rücken zu bekommen. Die Beamten sagten mir persönlich später, durch ihre Steinwürfe sei eindeutig niemand verletzt worden.

Nagel: Klar, das sagen die Punks auch: Ich frage mich, wie soll das dann nächstes Jahr werden? Wollen Sie da gleich allen Leuten, die unter 35 sind, ein Stadtverbot für Hannover erteilen? Schließlich waren am Ende an den Krawallen höchstens noch zu 20 Prozent Punks beteiligt.

Wiedemann: In der Nacht von Samstag auf Sonntag hatten wir etwa 2.000 gewaltbereite Jugendliche im Stadtgebiet. An etwa 35 verschiedenen Brennpunkten kam es zu Auseinandersetzungen. In dieser Nacht waren 2.800 Beamte flächendeckend in der Stadt im Einsatz. Bis auf eine Gruppe Hooligans in der Innenstadt wurden dabei fast ausschließlich Punks gefaßt.

Nagel: Wer nur nach Punks sucht, faßt auch nur Punks. Jürgen Voges