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■ Die Kirche bleibt stehen, die Gemeinde zieht weiterLeerstand statt Beistand

Amsterdam/Hamburg (taz) – Muffig riecht es in der leeren Koningskerk von Amsterdam. Dem Organisten fiel der Abschied am schwersten, sagt Küster Klaus Verhoog. Der Pastor predige schon seit zwei Monaten woanders. „Am letzten Tag hatten wir hier nach Jahren noch einmal ein volles Haus.“ Verhoog schaut auf die leeren Bänke. Hochoffiziell habe die Gemeinde ihrer Kirche leise Servus gesagt: Die Bibel, Schale und Becher, die Kreuze wurden hinausgetragen. Manches Mitglied empfand tiefe Trauer. Anders der Küster: Er konzentriere sich jetzt auf die neue, kleinere Kirche, die „angepaßt an die heutige Zeit“ an anderer Stelle hochgezogen werde. Der Neubau erhält ein Drittel weniger Plätze.

Seit 20 Jahren sinkt die Mitgliederzahl in den großen Kirchengemeinschaften der Niederlande kontinuierlich. Die Gebäude sind sonntags nicht mehr ausgelastet. Einmal entweiht, blieb der evangelisch-reformierten Koningskerk (gebaut 1955) nur das Los, auf den Immobilienmarkt zu gehen. Auch bei der Denkmalpflege war nichts zu holen, die Kassen sind leer. Demnächst hält die mitgliederstarke evangelische Brudergemeinschaft in der Koningskerk Einzug, Wände und Sitzbänke sind inzwischen getüncht, wegen der „speziell gewünschten Ausstrahlung“, sagt Verhoog.

Die Autorin Tessel Pollmann analysierte den Leerstand in den niederländischen Gotteshäusern. Sie rät den Kirchen, ihre verlassenen Gebäude den Muslimen zu überlassen. Pollmann: „Neugegründete Moscheen haben Zulauf wie verrückt. Die muslimischen Gläubigen pflegen ihre Gebäude außerordentlich.“ Der Fortbestand der Kapellen, Kirchen, Kathedralen sei so eher gesichert, als wenn der Bau kommerziell weitergenutzt werde. Die Erfahrung habe gelehrt, daß der Unterhalt bei einer artfremden Nutzung langfristig zum Problem werde.

Unterschätzt werden häufig die immensen Kosten, um die Gemäuer warm und instand zu halten. In Kirchen, wo sich heute, wie in Dordrecht, ein Supermarkt befindet (Nieuwkerk) oder eine Diskothek (Bonifatiuskerk), kann die „intensive Nutzung den Böden und den darin eingelegten Grabsteinen arg zusetzen“, so Pollmann. Eine Bibliohtek richtete die Stadtverwaltung von Zutphen vor zwölf Jahren in der Broederkerk ein. Durch die konstant warme Raumtemperatur rieseln inzwischen Kalk und Farbe auf die Bücherregale hinab. In der Amsterdamer Oosterkerk, nun Bürgerzentrum, sorgte die Wärme für ein „Austrocknen“ der zurückgelassenen Orgel, die Register sind nun verstimmt.

Mickey Bosschert und ihr Reliplan-Beratungsbüro haben sich in den Niederlanden ganz auf die Vermittlung verwaister Kirchen spezialisiert. Geschäftstüchtig agiert sie zwischen allen Glaubensgemeinschaften, nimmt aber keine Umbauten vor. Mit Sorgfalt legte Reliplan ein Register der 13.000 Kirchenbauten der Niederlanden an. Mit 28 Projekten ist Bosschert derzeit befaßt, aus Prinzip und Überzeugung vermittelt sie nur zwischen Gläubigen – wobei es auch schon mal zu Kontroversen kommt: „Kürzlich holte eine marokkanische Kirchengruppe nach Vertragsabschluß die Glocke aus dem Turm, das war natürlich nicht in Ordnung.“

Auch hierzulande werden die Rufe nach dem Verkauf von leerstehenden Kirchen lauter – zumindest bei den Evangelen. Elisabeth Lingner, Präsidentin der nordelbischen Synode, plädierte in der vergangenen Woche dafür, Kirchen in Museen, Begegnungszentren oder Konzertsäle zu verwandeln. Diskos, Supermärkte und Schwimmbäder lehnt sie allerdings ab. Harald Neckelmann

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