Mit heißem Atem gegen Diepgen

■ Der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Böger zum Wahlkampf seiner Partei, zu den Perspektiven sowie Unmöglichkeiten einer rot-grünen Koalition und zur Rolle seiner "heißen" Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer

taz: Die SPD hat auf den CDU- Slogan „Sicher in die Zukunft“ zurückgegriffen. Herr Böger, gehen Ihrer Partei die Ideen aus?

Klaus Böger: Überhaupt nicht. Zukunft ist kein Monopol einer Partei, schon gar nicht der CDU. Auf unserem Wahlprogramm steht dieser Slogan, in unserem Wahlkampf wird er aber nicht verwendet.

Die Zukunftsfloskel ist so blutleer, daß gar nicht deutlich wird, was die SPD will.

Sagen Sie mir eine Formel, die heutzutage nicht austauschbar ist.

„Wir wollen den Wechsel.“

Sicherlich, das klingt sehr schön, ist aber auch inhaltsleer. Ich will in vielen Bereichen eine andere Politik für die Stadt. Zugleich sage ich selbstbewußt: Wir haben fünf Jahre nach der Vereinigung die Politik in dieser Stadt mitgestaltet. Wir waren Partner in der Großen Koalition, mit all den Platzwunden, die man sich in solch einer schwierigen Konstellation in der Stadt holt.

Sie haben zwei Optionen: Weiter mit der CDU oder eine andere Politik mit den Grünen. In Nordrhein-Westfalen hat die SPD einen inhaltslosen Johannes-Rau- Wahlkampf gemacht, durch den viele SPD-Wähler zu Hause geblieben sind. Wenn Sie alles offen lassen, wie wollen Sie da nur die Wähler an die Urnen bringen?

Ich will nur über Berlin sprechen. Jeder weiß, daß es hier ohne die SPD keine Regierung geben wird. Wir stehen für soziale Gerechtigkeit, Einheit und Modernisierung der Metropole. Wir haben uns auf eine Linie geeinigt, die ich für richtig halte: Erstens eine klare Absage an die PDS. Zweitens: Wir legen uns weder auf ein „Weiter so“ mit der CDU noch auf einen rot-grünen Wechsel fest. Statt dessen verweisen wir auf unsere Leistungen, thematischen Schwerpunkte und personellen Angebote. In welcher Konstellation wird am 22. Oktober, spätestens um 18.30 Uhr, diskutiert.

Also auch Rot-Grün?

Ein rot-grünes Schreckensszenario, wie es die CDU so gerne hätte, male ich nicht an die Wand. Auf der anderen Seite will ich auch keine rot-grüne Euphorie anrühren, die ich ohnehin nicht entdecke. Nach den Wahlen wird man an vielen kleinen Punkten ausloten müssen, bei wem die Schnittmenge letztlich größer oder kleiner ist. Einen zentralen Punkt wird dabei die Belastbarkeit einer neuen Koalition spielen. Die Stadt steht von 1995 bis 1999 vor erheblichen Risiken in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Da kann ich nicht in einer Koalition regieren, die jeden zweiten Tag in nächtelangen Sitzungen in diesem oder jenen Punkt die Seinsfrage formuliert.

Die Große Koalition also als kleineres Übel?

Was die letzten fünf Jahre angeht, würde ich Ihnen da sogar zustimmen. Schließlich haben wir dafür gesorgt, daß die CDU Kreide fressen mußte. Was die CDU pur sozial leistet, sieht man ja in Bonn. Daß Herr Diepgen sich manchmal sozialdemokratischer geriert, als ihm selbst und seiner Partei lieb ist, liegt auch daran, daß ihm Frau Stahmers heißer Atem im Nacken sitzt.

Wie bitte? Stahmers heißer Atem? Wir dachten, Frau Stahmer will im Schlafwagen an die Macht rollen.

Das ist doch kalter Kaffee. Die Nummer mit dem großen Parteivorsitzenden, der schnippt und die Säle füllt, zieht heutzutage nicht mehr. Allen, die dem bündnisgrünen Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Wieland nach dem Munde reden, auch in meiner Partei, sollten sich an die eigene Brust fassen, Konzepte entwickeln, hinausgehen und mit den Bürgern sprechen. Statt immer danach zu fragen, wo denn Frau Stahmer bleibt. Diese Diskussion steht mir bis hier.

Was spräche für Rot-Grün?

Unabhängig von jeder Koalition wird ein Hauptpunkt aller Verhandlungen sein, wie die Verschuldung zurückgefahren werden kann, gerade im Hinblick auf Berlin-Brandenburg. Hier sehe ich bei den Grünen interessante Ansätze. Etwa bei der Diskussion um die künftige Aufgabenleistung des Staates, was beispielsweise gesellschaftliche Vorfeldorganisationen leisten könnten. Natürlich ließe sich mit den Grünen in der Verkehrspolitik weitaus leichter zusammenarbeiten als mit der CDU, Für den großen Berliner Universitätsstandort könnte Rot-Grün stärkere Impulse für Forschung und Entwicklung neuer Technologien im Bereich Umweltschutz setzen.

Was spricht gegen Rot-Grün?

Rot-Grün hat immer noch ein Imageproblem. Bedenken der Wirtschaft, ein solches Signal könnte weitere Investitionen in der Hauptstadt hemmen, nehme ich sehr ernst. Was ja nicht heißt, daß man solche Ängste nicht auch abbauen kann. Aber wenn ich lese, daß das bündnisgrüne Vorstandsmitglied Christian Ströbele erklärt, er wolle mehr auf Immigranten als auf Investoren setzen, kann ich nur sagen: Gute Reise ins Nirwana, aber ohne uns.

Hört man deshalb so wenig von Frau Stahmer, weil sie sich in 250 Einzelveranstaltungen im „Dialog mit dem Bürger“ verzettelt?

Gesprächsrunden mit der Bevölkerung sind eine gute Sache. Detailkenntnisse sind besser als hohle Sprüche. Wir haben Mitte August, erst jetzt beginnt die heiße Phase des Wahlkampfs. Ich verspreche Ihnen noch viele Überraschungen. S. Weiland/D. Wildt