Pop komm raus
: Seltsame Stilblüten des Jargons

■ Heute eröffnet in Köln die internationale Messe für Popmusik und Entertainment

Der Boom der Popkomm scheint ungebrochen: Im Vergleich zum Vorjahr sind 25 Prozent mehr Aussteller aus der Musik- und Tonträgerbranche auf der Kölner Messe vertreten. Auf 18.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche – das sind 50 Prozent mehr als im letzten Jahr – werden sich an rund 600 Ständen die großen Medienmultis neben kleinen Musikverlagen oder Independent-Plattenfirmen ausbreiten. Dabei geht es vier Tage lang deutlich lauter und bunter zu als bei einer Haushaltswarenmesse; merkliche Steigerungsraten dürften sich also zum Beispiel auch im Lautstärkepegel ergeben, denn natürlich finden sich genug Aussteller, die es für nötig halten, die Umgebung mit ihren neuen Produkten zu beschallen.

Neben der Messe findet auch wieder der Kongreß im Rahmen der Popkomm statt, der sich dieses Jahr alleine auf neun von 31 seiner Podien mit Multimedia- Themen zwischen CD-ROM und Internet beschäftigt. Dabei geht es den Veranstaltern weniger um das Philosophieren über Neue Medien; der hohe Anteil ist eher ein Indiz dafür, wie stark die Diskussionen, Panels und Workshops bei den Popkomm-Organisatoren auf die Vermarktungszukunft der Popmusik-Branche ausgerichtet sind. Veranstaltungen, die musik- oder kulturtheoretisch, also ohne direkten Bezug auf die wirtschaftlichen Interessen der Branche konzipiert sind, bleiben wie schon in den Vorjahren deutlich in der Minderzahl. Kein Wunder, daß dann in den offiziellen Verlautbarungen der Organisatoren auch seltsame Stilblüten des Werbe-Jargons sprießen. Im Editorial zum Infoheft Screen-Multimedia hofft man, „ein interessantes Angebot zu machen, das ein wenig zum Zusammenwachsen der Entertainment-Märkte beitragen soll“. Kongreß und Messe sind den Fachbesuchern vorbehalten, die 220 Mark berappen müssen – Journalisten sind schon mit 50 Mark dabei. Am Abend dann haben auch die gewöhnlichen Musikfans eine Chance, sich als Teilnehmer der Popkomm zu fühlen. In den Clubs und Konzerthallen Kölns treten 381 Bands und Acts auf 108 Veranstaltungen auf. Noch stärker als im letzten Jahr hat sich Viva in den Vordergrund des Geschehens gedrängt: der Kölner Musikkanal wird nicht nur ausführlich über die Popkomm berichten, er präsentiert auch in Zusammenarbeit mit dem WDR-Dudelfunk Eins Live das Musikfestival; Viva-Geschäftsführer Dieter Gorny – der im übrigen ja als Begründer der Popkomm sowieso einen sehr direkten Draht zu den Veranstaltern hat – streicht dann auch in einer Stellungnahme heraus, wie begrüßenswert er den Präzedenzfall einer Zusammenarbeit zwischen einem privaten und einem öffentlich-rechtlichen Sender findet. Passend ist da wenigstens, daß beim Kongreß auch ein Panel mit dem Thema „Platt kommt weiter? – Wie ,privat‘ dürfen die Formate der Öffentlich-Rechtlichen im Radio sein?“ stattfinden wird. Merklich zur Fußnote sind angesichts der Allianz zwischen Viva und Eins Live die Aktivitäten von MTV auf der Popkomm geschrumpft.

Nur auf einem Panel, das sich mit der Indie-Musikszene in Europa beschäftigt, taucht der Name des internationalen Musikkanals neben dem der Musikzeitschrift Spex auf. Der wiederum ist auf dem Messegelände eine Ausstellung aus Anlaß ihres 15jährigen Bestehens gewidmet; gezeigt wird die Entwicklung und Struktur des unabhängig von Großverlagen operierenden Independent-Magazins. Auch wenn die Lektüre des Veranstaltungsprogramms sich oft wie ein Sammelsurium aus Wirtschaftsdeutsch, Werbeslang und halb verdautem Szene-Jargon ausnimmt, so finden sich doch noch genug Veranstaltungen, wo man sich nicht wie auf einem Treffen von selbsternannten Trendforschern und Prognostikern von Zuwachsraten vorkommt. Interessant zu werden verspricht zum Beispiel die Diskussion um den Stellenwert und die Rolle von Techno mit Philip Anz und Patrick Walder, den Herausgebern der jüngst erschienenen und schlicht betitelten Textsammlung „Techno“ (siehe taz vom 2. 6. und 8. 7. 1995). Auf einem anderen Podium über die Frage nach dem Ausverkauf der Underground-Szenen wird womöglich auch Steve Albini, Produzent der letzten Nirvana-Platte und radikaler Gegner typischer Entertainment-Marketingstrategien, auftauchen. Zum Glück gibt es, hat der Messebesucher sich am „Marlboro-Music“-Stand die Haare schneiden lassen oder bei Prinz ein fünf Grad kaltes Michelob-Bier abgezischt, am Ende auch noch gute Musik in den Clubs, von kleinen Kölner Bands bis zum Popstar Björk. Hoffentlich bleibt da die Lust auf Musik nicht auf der brachenstrategischen Strecke. Jörg Heiser

Diese Kolumne wird der Popkomm auch in den nächsten Tagen auf den Fersen bleiben.