■ Seit zwei Schwiegersöhne Saddam Husseins zusammen mit den Töchtern des Diktators nach Jordanien flohen, wankt das Regime im Irak. Die USA fürchten einen Militärschlag und bringen ihre Waffen in Stellung
: Familienkrach mit globalen Folgen

Seit zwei Schwiegersöhne Saddam Husseins zusammen mit den Töchtern des Diktators nach Jordanien flohen, wankt das Regime im Irak. Die USA fürchten einen Militärschlag und bringen ihre Waffen in Stellung

Familienkrach mit globalen Folgen

Du glaubst doch nicht, daß der wirklich etwas gegen Saddam hat“, sagt Kawa zu seinem Kollegen. Zwischen den beiden Eisenwarenhändlern in Arbil, der Hauptstadt der autonomen kurdischen Region im Nordirak, hat sich ein lebhaftes Gespräch entwickelt, zu dem sich nach und nach weitere Männer aus der Nachbarschaft gesellen. Lebhaft diskutiert die Runde, warum Hussein und Saddam Kamel Hassan, die beiden Schwiegersöhne des irakischen Diktators, zusammen mit dessen Töchtern Raghd und Rana nach Jordanien geflohen sind. „Saddam hat sie selbst ins Ausland geschickt“, ist Kawa überzeugt. „Die sind doch nur abgehauen, damit die Saddam-Familie auch dann noch ihre Hände in der Regierung hat, wenn das Regime gestürzt wird.“ Niemand der kurdischen Männer will glauben, daß die beiden tatsächlich geflohen sind, um sich der Opposition anzuschließen.

Wesentlich mehr Hoffnungen setzen dagegen die USA in die entlaufenen Schwiegersöhne. Nachdem General Hussein Kamel Hassan al-Madschid von Amman aus zum Sturz Saddam Husseins aufgerufen hatte, beeilte US-Verteidigungsminister Perry sich zu versichern, die USA würden den Schutz Jordaniens garantieren, sollte Saddam das Nachbarland militärisch bedrohen. Über Satellit wollen die USA verstärkte Truppenbewegungen im Irak ausgemacht haben und setzten daraufhin ihren Flugzeugträger „Theodore Roosevelt“ ins östliche Mittelmeer in Marsch. Außerdem betonte Perry, die USA hätten in Reichweite des Irak genügend „Tomahawk“-Marschflugkörper stationiert, um einen möglichen Angriff auf Jordanien zurückzuschlagen. Darüber hinaus beginnen am Freitag länger geplante jordanisch-amerikanische Manöver, an denen Marineinfantristen der 5. US-Flotte beteiligt sind.

Tatsächlich ist die Flucht der beiden Schwiegersöhne Saddam Husseins, des Generals Hussein Kamel Hassan al-Madschid und seines Bruders Saddam Kamel Hassan, wesentlich mehr als eine häusliche Krise. Die Familie ist für Saddam Kern und Hauptstütze seines politischen Systems. Wenn die Familie zerfällt, kann das nicht ohne weitreichende Auswirkungen für sein Regime bleiben. Saddam entstammt dem Stamm der Tikritis aus der Region Tikrit, 80 Kilometer nördlich von Bagdad. Er ist Angehöriger eines Zweiges namens al-Madschid, der seinerseits Teil der al-Bu- Nassr-Stammes ist. Die al-Bu- Nassr zählen insgesamt etwa 25.000 Personen. Die Hälfte von ihnen sind Frauen, die wegen der patriarchalischen Struktur in der Regel im Haus bleiben. Von den männlichen Stammesmitgliedern sind etwa die Hälfte Kinder. Das bedeutet, daß die fast 6.000 erwachsenen Männer dieses Stammes die wichtigen Posten im Lande monopolisieren. Es war ein reiner Zufall, der den Tikritis, diesem verarmten und vergessenen Stamm, ihre beherrschende Rolle im politischen Leben verschaffte. Es war der Tikriti Mawlud Mukhlis, ein enger vertrauter des ehemaligen irakischen Königs Faisal, der in den dreißiger Jahren die Türen zur Armee für seine Stammesangehörigen öffnete. Faisal brauchte verläßliche Soldaten aus den armen Stämmen, um dem Einfluß von Politikern und Generälen aus den einflußreicheren und wohlhabenderen Sippen zu begegnen.

Doch bei den Tikritis ging diese Rechnung nicht auf. Als die Baath- Partei unter Führung von Ahmed Hasan al-Bakr 1968 durch einen Militärputsch an die Macht kam, stellten die Tikritis einen starken Block in der Führung der Putschisten. Der Block der Tikritis konnte schnell die Partei und die militärischen Institutionen des Landes unter seine Kontrolle bringen, und Saddam Hussein war als stellvertretender Präsident und Verteidigungsminister der Vize des Regimes. In der Realität aber war er schon damals der eigentliche starke Mann, der dann 1979 al- Bakr mittels einer Verschwörung zum Rückzug zwang.

Aus seinen Erfahrungen zog Saddam zwei Schlüsse: Die Armee soll im politischen leben keine Rolle spielen, um sich vor möglichen Umsturzversuchen zu schützen. Und familiäre und Sippenbindungen sind stärker als ideologische.

Vor allem in den Spitzen des Geheimdienstes und des Militärs plazierte er Verwandte und Mitglieder solcher Sippen, mit denen er sich verbündet hatte. So ist beispielsweise Saddam Husseins ältester Sohn Udai eine Art ungekrönter Herrscher, der alles, von den Medien bis zum Fleisch- und Geflügelhandel, kontrolliert. Ein anderer Sohn, Qusai, ist Chef der speziellen Sicherheitsorgane, die für den Schutz des Präsidenten verantwortlich sind. Ein Stiefbruder Saddams, Sabawi, ist für den Allgemeinen Geheimdienst verantwortlich, ein anderer Stiefbruder namens Watban war Innenminister und ist heute sein Berater. Sein Cousin Ali Hassan al-Madschid, auch bekannt als der „Schlächter von Kurdistan“, war Verteidigungsminister und ist heute sein Berater. Die Kommandanten der wichtigsten militärischen Einheiten und Geheimdienstorgane sind Angehörige seines Stammes oder von anderen Stämmen, die mit den Tikritis verwandtschaftlich verbunden sind.

Auch die geflohenen Schwiegersöhne haben eine typische Familienkarriere gemacht. Hussein Kamel Hassan al-Madschid, ein Verwandter Saddams, war ein einfacher Soldat, als dieser die Macht übernahm. Zunächst Leibwächter Saddams, stieg er auf zu dem Mann, der für die Militärindustrie und das Atomprogramm des Irak verantwortlich war. Trotz des Widerstandes seiner Brüder gab Saddam ihm seine Tochter zur Frau. Für viele galt Hussein Kamel als engster Vertrauter Saddam Husseins und zweiter Mann im Staat.

Der zweite flüchtige Schwiegersohn, Saddam Kamel Hassan, Bruder von Hussein Kamel, war ursprünglich Kunststudent. Weil er dem Diktator in dessen jüngeren Jahren ähnlich sah, wurde er ausgesucht, um die Hauptrolle in einem Film über Saddam Husseins Leben zu spielen. Der Film und der Schauspieler gefielen Saddam. So schickte er den Kunststudenten auf eine Militärakademie, machte ihn später zum Kommandanten seines persönlichen Geheimdienstes und verheiratete ihn mit seiner anderen Tochter. Was bewog die beiden nun, sich von ihrem Schwiegervater abzuwenden? Zuverlässigen irakischen Quellen zufolge handelt es sich um einen innerfamiliären Machtkampf, vor allem zwischen Saddam-Sohn Udai und Hussein Kamel. Udai, der in die Fußstapfen seines Vaters treten möchte, sah in Hussein Kamel seinen größten Rivalen. Er versuchte, dessen Einfluß zu schmälern, und mischte sich selbst in die Finanzierung der Militärindustrie und die Verwaltung der geheimen Gelddepots ein. Auch soll Udai versucht haben, Hussein Kamel die Kontrolle über die Republikanischen Garden abzunehmen. Vor allem in der Frage des Umgangs mit der UNO-Kommission für die Abrüstung des Iraks (UNSCOM) gab es heftigen Streit zwischen Udai und Hussein Kamel. Hussein Kamel sei dafür eingetreten, Konzessionen zu machen und die geforderten Informationen zu liefern, damit das Embargo aufgehoben wird. In diesem Sinne hat sich der Geflohene auch am vergangenen Samstag auf seiner Pressekonferenz in Amman geäußert. Watban und Sabawi hätten die Position Kamels eingenommen, Udai und Qusai vertraten die gegenteilige Ansicht. Der Streit sei so weit eskaliert, daß Udai auf seinen Onkel Watban geschossen und ihn am Bein verletzt habe. Andere Quellen sprechen sogar davon, Udai habe Wataban, dessen Frau und mehrere Leibwächter erschossen. Daraufhin habe Kamel entschieden, das Land so schnell wie möglich zu verlassen. Als zuverlässige Stützen bleiben dem Diktator nun seine beiden Söhne Udai und Qusai. Viele, die die al-Madschids gut kennen, fragen sich jetzt, wann Udai dem Vorbild seines Vaters folgen und seinen möglichen Rivalen Qusai loswerden wird. Denn bisher hat sich Udai als der bessere Sohn seines Vaters erwiesen. Khalil Abied