"Blavatzkys Kinder" - Teil 29 (Krimi)

Teil 29

„Dann achten sie bitte darauf, daß Sie keinen Privatgrund betreten, und entfernen Sie sich“, befahl die Stimme.

Kurz darauf begannen in einiger Entfernung zwei Hunde zu bellen. Begleitmusik für die Abfuhr.

Den Weg zurück konnten sie nicht finden. Zweimal hatten sie einen geschlängelten Pfad gekreuzt und an einer dieser Weggabelungen auch eine dieser sonderbar dichten Hecken durchbrochen. Ein größeres Tier hatte ein Loch in die grüne Mauer gerissen. Spuren von rotbraunem Fell hingen an den Dornen des natürlichen Tunnels. Sie robbten auf dem Bauch durch die Öffnung. Hinter der Hecke richteten sie sich auf. In etwa hundert Meter Entfernung wand sich ein Weg durchs Unterholz. Vielleicht fünfhundert Meter von ihrem Standort schimmerte ein Ziegeldach durch die Bäume. Offensichtlich ein längeres, nicht besonders kleines Gebäude.

„Wenn ich meine Orientierung nicht gänzlich verloren habe, dann gibt es dieses Haus auf unserer Karte nicht.“ In diesem Augenblick hörten sie einen Schuß.

„Scheiße, Jäger.“ Miriam sah Robert an.

„Keine Jagdzeit“, widersprach Robert.

Sie duckten sich hinter einem breiten Stamm. Hundegebell. Ein zweiter Schuß. Ein Kind schrie.

Miriam rannte zwanzig Meter durch den Wald bis zum nächsten dicken Stamm. Robert folgte ihr. Ein anderes Kind brüllte mit angstbebender Stimme.

Ein zweiter Schuß. Das Geschrei brach ab.

Miriam und Robert bewegten sich in einem großen Halbkreis um die Gebäude herum. Mal krochen sie, mal versteckten sie sich hinter einem Baum. Ein anderes Mal warteten sie auf dem Bauch liegend, weil sie meinten, ein Geräusch gehört zu haben.

Wieder schlug ein Hund an. Ein Mann brüllte einen Befehl. Das Tier verstummte. Keine Kinderstimmen mehr.

Auf Umwegen waren sie den Gebäuden näher gekommen. Sie kletterten auf eine Buche. Unter ihnen flache, längliche Bauten mit kleinen Fenstern. Drei ähnliche Gebäude lagen dicht hintereinander. Etwa zwei Dutzend Männer in schwarzen Uniformen liefen herum. Einige luden einen Jeep ab und zerrten Kisten unter einer Plane hervor, um sie in ein viertes Gebäude zu tragen, das etwas größer war und seitlich lag.

Robert nahm einen Notizblock aus seinem Anorak und zeichnete mit wenigen Strichen die Häuser, ihre Lage zueinander und notierte die Anzahl der Bewaffneten. Miriam zog ihre kleine Kamera aus der Jackentasche und fotografierte.

Ein Mann in einer etwas anderen Uniform trat auf den kleinen Vorplatz. Sofort standen alle Männer um ihn herum. Er schien Anweisungen zu geben. Mit dem rechten Arm deutete er in verschiedene Richtungen. Die Männer teilten sich in vier Gruppen mit jeweils fünf Männern auf. Eine Gruppe blieb bei den Häusern. Eine zweite lud den Jeep weiter ab. Die dritte und die vierte Gruppe verschwanden in einem der länglichen Gebäude. Als sie nach wenigen Minuten wieder herauskamen, trugen sie dickere Jacken und Pistolen, lange, schwarz glänzende Knüppel mit einem rechtwinklig abstehenden schwarzen Griff. Tonfas, tödliche Schlagstöcke, inzwischen beinahe Normalausstattung der Polizei. Je einer pro Gruppe hatte ein Gewehr.

Robert erschrak. „Soldaten!“

„Keine offiziellen. Siehst du die Hakenkreuze?“ flüsterte Miriam.

Zu ihrer begrenzten Erleichterung liefen die Männer nach beiden Seiten im Abstand von weniger als zweihundert Metern an ihnen vorbei. Sie warteten, bis sie die Schritte nicht mehr hörten.

Sie warteten. Die Sonne sank. Ein Vogel flatterte frech keckernd vorbei. Die Äste bogen sich leicht im scharfen Wind. Robert fiel fast vom Baum, als er hinunterkletterte.

Zwei Männer starrten lange in ihre Richtung. Im Lager entstand wieder Unruhe. Ein scharfer Befehl. Eine dritte Gruppe wurde losgeschickt. Diesmal ging es unverkennbar um sie. Miriam sprang vom Baum, und sie rannten los. Zwei Hunde bellten. Sie rannten. Dann fielen Schüsse.

Sonnenstrahlen brachen sich im Rhythmus ihrer Schritte zwischen den Bäumen und warfen Muster auf den Waldboden. Schwarzweiß, schwarzweiß, dachte Miriam keuchend. Sie rannten um ihr Leben.

Gleichmäßig atmen und laufen, laufen, laufen, dachte Miriam. Der Lärm, den ihre Schritte verursachten, übertönte die Geräusche ihrer Verfolger. Aber sie wußten, daß sie ihnen auf den Fersen waren. Robert zuckte zusammen, als eine Kugel neben ihm das Laub aufwirbelte.

Miriam fühlte ein starkes Stechen in der Seite. Die Angst nahm es fort. Sie war noch nie so gerannt. Robert war jetzt zwei Schritte vor ihr. Er sah sich nach ihr um. Sie holte wieder auf. Wo waren die anderen Soldaten? Bloß nicht denen in die Falle laufen! Eine Wand vor ihnen. Wieder eine dieser verdammten Hecken. Undurchdringlich. Robert warf sich atemlos gegen das Hindernis. Am Boden wölbte sich eine Wurzel wie eine Schlinge. War das Loch groß genug?

Etwas schnitt scharf hinter seinem Ohr entlang. Streifschuß. Ihre zerkratzten Gesichter brannten. Unter der Hecke riskierten sie einen Blick zurück. Ein Mann fehlte. Einer lief weiter hinten. Zwei andere hatten aufgeholt. Wohin? Vor ihnen lag ein Weg. Links war er schnurgerade und weit zu überblicken. Wahrscheinlich ging es hier raus. Aber es gab kaum ein Versteck. Rechts verlor sich der Weg im Wald. Rechts oder links?

„Geradeaus“, keuchte Miriam.

Vor ihnen verbarg niedriges Gestrüpp den weiteren Verlauf des Geländes. Sie rannten los. Zerrissen sich Hosen und Hände an Dornen. Noch niemand zu sehen. Nach den Geräuschen zu urteilen, hatten die Verfolger bis auf hundert Meter aufgeholt.

Fortsetzung folgt