Pop komm raus
: Benutzeroberfläche

■ Die Musikmesse lebt vom Socialising

94er Begriffe wie „Multimedia“ und „Interaktivität“ sind out – Online-Dienste verkörpern das mediale Begehren in diesem PopKomm-Jahr. „Sei willkommen, Netsurfer!“ begrüßt Sony den „User“ kumpelig auf seinem Online-Claim. Das weltweite Web ist zum Kampfplatz der Konzerne geworden, aber noch halten die kleinen, von der französischen Vernetzungsphilosophie inspirierten Klitschen (Amöbenklang, Freibank etc.) mit.

Die Zauberformeln, mit denen das neue, totalverwobene Zeitalter heraufbeschworen wird, sind trotzdem recht ähnlich, verdächtig inspiriert zudem vom grandiosen Innovationssprech des PopKomm-Übervaters Dieter Gorny (dem „Helmut Kohl der Pop-Branche“), heute Geschäftsführer des Musiksenders Viva. Wie jedes Jahr orakelt es sich fast von selber über die „vernetzende, katalytische Bedeutung der Musik und der Musikbranche“ – ein vornehmer Ausdruck für die Tatsache, daß Popmusik ein geeignetes Schmiermittel bei der Einführung jeder Art von Technologie ist, die auf den Glamour der Jugend setzt. So durfte der NRW-Staatssekretär für Mittelstand, Technologie und Verkehr in Verbund mit dem Verbandschef der Phonographischen Wirtschaft, Thomas M. Stein, die Messe eröffnen. Die Musik kam sinnigerweise vom brasilianischen Trio Esperanca.

Wie so was läuft, weiß – die neuesten Hypes mal abgezogen – inzwischen jeder, der zur PopKomm anreist. Unter dem futuristischen Gewölbe des rhetorischen Messe-Überbaus existiert noch in reichlichem Ausmaße das normale, eher kleinteilige Journalisten-, Musiker- oder Labelbetreiberleben, als „longue durée“ (Braudel) am Fuße der Ereignisgeschichte. Burkhard „Der Zensor“ Seiler etwa, Inhaber einer traditionsreichen kleinen Tonträgerfirma aus Berlin, sah sich im Vorfeld statt mit Internet und Mailbox- Problemen mit der Frage konfrontiert, ob er den Prosecco für den Stand aus der Hauptstadt mitbringen soll oder, wie die letzten Jahre, „bei Karstadt da, du weißt schon, am Neumarkt“ kriegt. Der Erörterung bedarf auch das Problem, ob der Indigo-Vertrieb über einen Kühlschrank verfügt oder nicht – schließlich hängt bei einem Event, das neben Netz- und Konzertbesuchen gnadenlos vom Socialising lebt, einiges davon ab.

Der Messeparcours mit seiner tausendundeinen Bude, deren Gesamtsound sich schon frühmorgens zum weißen Rauschen aufaddiert, ist ohnehin nur durch sehr selektives Anklicken seiner „Benutzeroberfläche“ (Dieter Gorny) zu ertragen. Es gibt Videoflackerwände à la Viva, es gibt Herren im Zweireiher bei der Gema, es gibt dieses Jahr noch mehr Techno-Sound und -Look, und tatsächlich ist da auch dieser Marlboro-Haarschneidestand, der trotz seines kreuzblöden Slogans „Hair Good Hear Better“ Freiwillige findet. Aber irgendwie landet man dann doch wieder im gallischen Dorf der dicht beieinanderliegenden Independent-Betreiber – sage mir, mit wem du rumhängst, und ich sage dir, wer du bist.

An der sozialen Oberfläche erzeugt das in Maßen noch das Rock 'n' Roll-typische Erscheinungsbild – was wiederum nicht heißt, daß es keine „Vernetzungen“ der Szene mit dem Großen und Ganzen der Super-Viva- MTV-wir-machen-in-neue-Medien-Welt gäbe. Bei Kölner Hipstern und Hipintellektuellen sorgt die PopKomm immer auch für einen Schwung Jobs in und um die Organisation. Die Muster kultureller Beeinflussung folgen dem Modell des Kassibers: Man trifft sich, ist nett zueinander, hat kleinere, oft unübersichtliche Projekte – und ist ansonsten pragmatisch. Was an Dissidenz noch bleibt, und investiert wird, ist sozusagen der normativen Kraft des Faktischen abgeschmuggelt.

Aber auch fundamentalistischer Protest regt sich in diesem Jahr. „Die PopKomm ist eine Wirtschaftsmesse, die sich als Musikfestival tarnt“, heißt es in einer Erklärung der „freien MusikerInnen Assoziation Köln“, „wir kritisieren, daß der an die PopKomm angeschlossene Kabelsender Viva1 und 2 die Kommerzialisierung und den Mißbrauch von Musik verstärkt und v.a. für Kinder und Jugendliche zu einem zusätzlichen Konsumfaktor geworden ist ...“

Der „Mißbrauch von Musik“ bei Kindern und Jugendlichen – das ist wahrlich ein weites Feld. Führt etwa ein Weg an der Erkenntnis vorbei, daß Popmusik die Kinder immer ganz schön „mißbraucht“ hat? Und waren die Kids nicht gerade deswegen eine Zeitlang „alright“? Da ist gute Übersicht teuer. Thomas Groß