„Demokratie ohne Hunger“

■ Der Militärputsch im afrikanischen São Tomé ist das Werk junger idealistischer Soldaten ohne politisches Konzept

Lissabon (taz) – Zwei Tage nach dem Sturz des ersten demokratisch gewählten Präsidenten von São Tomé und Principe, Miguel Trovoada, zeichnet sich in dem Inselstaat am Äquator vor der Westküste Afrikas die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit ab. Die putschenden Militärs verfügen offenbar über kein eigenes politisches Konzept. Zunächst verboten sie alle politischen Parteien, davon rückten sie aber wieder ab und verhandelten statt dessen mit Politikern aller Parteien über die Bildung einer Übergangsregierung der Nationalen Einheit, die mindestens ein Jahr im Amt bleiben soll. Gestern erklärte sich ihr Hauptverhandlungspartner, der bisherige Ministerpräsident Carlos Graça, dazu bereit, ein Kabinett unter Beteiligung der Militärs zu bilden. Er war zunächst unter Hausarrest gestellt worden, kann sich jetzt jedoch wieder frei bewegen.

„São Tomé hat große strukturelle Probleme. Wir brauchen einen nationalen Konsens, um sie zu lösen“, sagt Graça gestern. Er begrüßte außerdem das Angebot der Regierung Angolas, in dem Konflikt zu vermitteln. Angolas Staatschef Eduardo dos Santos hatte angedroht, die Öllieferungen nach São Tomé einzustellen.

Im Würgegriff der Kakao-Abhängigkeit

Während Graça aus dem Putsch gestärkt hervorgeht, wird der abgesetzte Staatschef Trovoada weiterhin im Armeehauptquartier gefangengehalten und muß sich wohl auf den Gang ins Exil einstellen. Eigentlich sind Graça und Trovoada alte Freunde: Zusammen gründeten sie 1960 im Exil die erste Unabhängigkeitsbewegung ihres Landes, das „Komitee zur Befreiung von São Tomé und Principe“. Daraus wuchs später die „Befreiungsbewegung von São Tomé und Principe“ (MLSTP), die nach der Unabhängigkeit von Portugal 1975 den Sozialismus aufbauen wollte. 1979 brach Trovoada mit der damaligen MLSTP-Führung unter Manuel Pinta da Costa: Die wollte damals der DDR den Bau einer Keramikfabrik ermöglichen, während Trovoada eine portugiesische Firma bevorzugte. Er wurde als „Agent des Westens“ beschimpft, landete im Gefängnis und wurde später ins Exil abgeschoben. Erst 1991, als die MLSTP der Diktatur abgeschworen und das Mehrparteiensystem eingeführt hatte, kam Trovoada aus dem Exil zurück und ließ sich zum Staatsoberhaupt wählen. Im Herbst 1994 aber ging aus vorgezogenen Parlamentswahlen die alte MLSTP als Sieger hervor – diesmal unter Graça, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger da Costa als integer gilt.

Weder Travoada noch Graça hat bisher die Wirtschaftskrise auf São Tomé und Principe beheben können, dessen 125.000 Einwohner vor allem von der Kakaoproduktion leben. Der Inselstaat war einst weltgrößter Exporteur von Kakao: 1932 wurden 30.000 Tonnen exportiert. Doch 1994 betrug die Kakaoausfuhr lediglich noch 3.500 Tonnen. Trotzdem macht der Kakao aber noch immer 95 Prozent der Exporteinnahmen aus. Dies zu ändern hat sich noch keine Regierung getraut.

Im Februar 1995 verknüpfte der Internationale Währungsfonds (IWF) eine Finanzhilfe von 3,2 Millionen Dollar mit der Forderung nach der Privatisierung staatlicher Unternehmen und Einsparungen im Staatshaushalt. Die Regierung setzte daraufhin eine Verwaltungsreform in Gang, die Massenentlassungen im öffentlichen Dienst vorsieht. Unübersehbare Signale der kommenden Krise waren im Frühjahr die Streiks der Lehrer, Radiojournalisten und des Personals im Gesundheitswesen.

So war es nicht verwunderlich, daß die Militärs für ihren Putsch als Hauptmotiv ihre eigene Lage sowie die Wirtschaftskrise angaben. Die aus 800 Soldaten bestehende Armee ist schlecht bezahlt, und die Soldaten gehen zum Teil barfuß. Die Führer des Putsches sind Offiziere unterer Dienstgrade, die in Kuba und Angola ausgebildet worden sind. „Wir wollen Demokratie“, sagte Unterleutnant Fernando Craque, einer der Putschführer, „aber Demokratie ohne Hunger.“ Theo Pischke