Pop komm raus
: Wahrscheinlich sogenannte Synergie-Effekte

■ „Der Kongreß“ nennt sich der gewissermaßen theoretische Programmteil der PopKomm. Auf Podien und in Kongreßbits wird „themenspezifisch“ vor- und zurückgeschaut – und fortgesetzt das Problem mangelnder Körpervirtualität aufgeworfen

Der Teil der PopKomm, der „themenspezifisch“ Probleme und Perspektiven der Branche erörtert, findet in klimatisierten Räumen jenseits des unmittelbaren Messeparcours statt und nennt sich pompös „Der Kongreß“. Von seinem politischen und geisteswissenschaftlichen Vorbild hat er gewisse Insignien übernommen: den repräsentativen Rahmen, das „Podium“, die Kopfhörer mit Simultanübersetzung der englischen Beiträge – wobei gerade diese Geräte natürlich in Wirklichkeit bösartige Fallen sind, die nur absolut Arg- und Ahnungslose benutzen (und entsprechend angesehen werden). Die eigentlichen Vorbilder dieser sogenannten Panels sind Pressekonferenz und Talkshow.

Panels, in denen Anzugmänner sich gegenseitig auf die Schultern klopfen (ein Tausendsassa dieser Machart heißt „Monty Lüftner“) und launig Zuwachsraten verkörpern, gibt es auch in diesem Jahr, daneben sind allerdings auch Anzeichen einer Rückkehr zu „inhaltlichen“ Diskussionen wieder stärker nachgefragt. „Ein Jahr danach – zwischen Euphorie und Katerstimmung“ heißt eine Runde, in der hemdsärmlige Jungführungskräfte das Abebben des Wirbels um „Multimedia“ erörtern: neue Speichermedien wie die interaktive CD-ROM seien „noch längst nicht verankert“. Ins Gemeine übersetzt heißt das: Jeder, der seine fünf Sinne einigermaßen beisammen hat, hat gemerkt, daß diese Dinger (einige Computerspiele ausgenommen) bislang nichts sind als bessere Adventskalender. Tönende Lexika, Anklicken mit der Maus und Hin- und Herscrollen des Bildausschnitts machen eben noch keine Revolution der Wahrnehmung – und damit keinen Verkaufsschlager. Sicher auch deshalb hat man in diesem Jahr verzichtet, die an vielen Buden vorgeführten, eher bescheidenen Surfversuche durchs Internet unter ein tönendes Gesamtmotto zu stellen. Die Unterzeile müßte „etwas unflott, Substanzüberprüfung heißen“, meldet der Messekatalog.

Das hat zur Folge, daß auch genuin „subkulturelle“ Fragestellungen 95 in den Panel-Pool zurückgekehrt sind. SPEX beweist immer noch vorhandenen Zugriff, indem es Vertreter auf ein Podium entsendet, das zu sechst die Wiedergeburt des Brit-Pop in seine soziokulturellen Grund-Issues (Niedergang der „Nation“, Pop-Presse als Ersatzstolzerzeuger, Modell des jugendlichen „Lad“, dandyistischer Hooliganismus) zerlegt. So diskutiert dann Christoph Gurk mit Vertretern von Independentfirmen und MTV Perspektiven des vielgeschmähten US-Pendants „Alternative Rock“ – mit naturgemäß offenem Ausgang. Eine Runde, die sich vorgenommen hat, „aufzuzeigen, wo, wie und warum in Europa gerappt und gebreakt wird, was das Zeug hält“, scheitert an Kommunikationsbarrieren zwischen den deutschen Teilen des Podiums und dem afrofranzösischen Rapper Ménélik sowie den eigenwilligen Fragen von Moderator Oliver von Felbert („In France I think a lot of people from Africa are rapping – is it more a black thing?“)

Ähnlich wie die Konzerte können auch die Panels aus mangelnder Körpervirtualität nur extrem selektiv verfolgt werden, aber die Pressekonferenz mit Björk, dem größten Star der Messe, will vor ihrem Auftritt am Abend doch noch mitgenommen sein. „Blitzlichtgewitter“, während sie sehr divenhaft Mineralwasser trinkt und ihre Fingernägel begutachtet. Dann gibt Björk freundlich und in isländisch rollendem Englisch ihre Philosophie zum besten: daß man die technologische Entwicklung doch auch mal positiv sehen soll; daß in den Fünfzigern der Sound der Autos die Musik bestimmt habe; daß Rock 'n' Roll schon deswegen sterben müsse, weil alle Autos heute leisegängige japanische Modelle sind. Da lachen die Journalisten und schreiben eifrig mit. Es ist eine eigentümliche Vorstellung, daß gleich alle – ich inklusive – zu Telefon, Sendestation oder Schreibcomputer hasten, um diese Statements möglichst online über ihr jeweiliges Medium in die Welt hinauszubroadcasten.

„Techno & House 95 – Von der musikalischen Revolution zum Strohfeuer der Branche?“ heißt das letzte Kongreß-Bit an diesem Samstag. Fünf Talking-Techno- Heads und ein überforderter Diskussionsleiter versuchen sich an einer „Bestandsaufnahme zwischen Big Business und Underground, Techno-Schlümpfen und kreativen Chaoten“. Auf dem Podium neben Philip Anz, der ein Techno-Buch co-herausgegeben und Ulf Poschardt, der ein weiteres geschrieben hat und altmodisch James-Dean-mäßig raucht, auch Inga Humpe, die (nach den Neonbabies und diversen Zwischenprojekten) in eine dritte Karriere als „Bamby“ gestartet ist – mit genau so klingendem Softtechno.

Poschardt, Redakteur bei Vogue reitet die affirmative Schiene – im großen Mainstream Techno hätte schon jedes Fischlein, auch das von ganz weit unten kommende, seinen Platz, das sei schon rein historisch erwiesen –, die Independent-Fraktion ist soviel Intellektualismus schon nach Minuten nicht gewachsen, und Bamby sprengt das schwer wackelnde Ganze schließlich, indem sie die Diskussion um Gut und Böse im Techno kurzerhand zur Geschmackssache und damit für „total out“ erklärt. Bei diesen Worten schreitet der Schriftsteller Rainald Goetz nach vorne in Richtung Podium, und einen Moment lang scheint ein Auftritt in alter Klagenfurt-Manier in der Luft zu liegen. Aber – Techno 95 ist offenbar noch lange nicht in ein sauberes Haßstadium eingetreten – er will sich nur eine Cola vom Podium besorgen.

Außerhalb des Messegeschehens, in der Galerie Lukas & Hoffmann in der Kölner Innenstadt, kommt es kurz darauf noch einmal zu einem Wiedersehen mit Bamby. Dort ist nämlich Eröffnung einer Bamby-Kunst-Show, an der der Techno/House-Fotograf Wolfgang Tillmans mitgewirkt hat. In dem winzigen Raum hängt ein einziges großformatiges Foto, das Bamby in Polaroid-Ästhetik zeigt, die roten Haare girliemäßig und auch ein wenig heilig um das Gesichtsoval geschlungen. Eine High-End-Stereo-Anlage spielt Bamby-Musik, und ein Sessel in der Mitte mahnt „Sit here“.

Das interessiert aber keinen. Es ist unendlich heiß, alle stehen draußen, reden und trinken Vernissage-Getränke, darunter, neben Bamby, auch führende Vertreter der Kölner Kunst-Szene. Was sie dahingezogen hat – simple Neugier, der Ruf der „kleinen, aber feinen“ Galerie, die Auslöschung von Gut und Böse, oder am Ende doch die Musik von Bamby – ist durch mich und meine Klein-Community an diesem Abend nicht mehr zu ergründen. Es muß sich aber um einen sogenannten „Synergie-Effekt“ handeln. Thomas Groß