piwik no script img

In Gottes Namen – Verfassungsbruch

■ Mit einem extra Gesetz will die bayerische Regierung jetzt das Aufhängen von Kreuzen in den Schulen erzwingen. Dem gottlosen Verfassungsgericht in Karlsruhe soll das Fürchten beigebracht werden, trotz evangelischen Beistands

Berlin (taz) – Kruzifix: Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber propagiert den offenen Verfassungsbruch. Entgegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes will er weiterhin das Aufhängen von Kruzifixen in Bayerns Schulen zur Pflicht machen. Via Bild-Zeitung kündigte der CSU-Politiker dazu eine Gesetzesinitiative an. Mit einer neuen, im Bayerischen Landtag beschlossenen Regelung soll – im Widerspruch zum Inhalt des Karlsruher Urteils – nun wieder festgeschrieben werden, „daß in unseren Schulen weiterhin Kreuze hängen“. Stoiber erhofft sich von seinem Vorstoß eine Korrektur des unliebsamen Kruzifix-Beschlusses. Im Fall einer Klage gegen das neue Gesetz müßte sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit der Kruzifix-Regelung beschäftigen. Das Kalkül des Ministerpräsidenten zielt offenbar darauf ab, daß die Karlsruher Richter dann angesichts der massiven Kirchen- und Politikerproteste einknicken und ihr jüngstes Urteil revidieren. Mit der Mehrheit von fünf zu drei Stimmen hatte der erste Senat des Verfassungsgerichtes die bayerische Bestimmung für grundgesetzwidrig erklärt, die bislang in jedem Volksschulzimmer ein Kruzifix vorgeschrieben hatte.

Auch von anderer Seite versuchen Unionspolitiker, das Karlsruher Gericht unter Druck zu setzen. Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Norbert Geis, ließ gestern über die Welt am Sonntag verbreiten: „Wir können es uns nicht leisten, daß durch eine solche Rechtsprechung die Verfassung verletzt, die ordentliche Gerichtsbarkeit geschwächt und der gewaltengeteilte Staat ruiniert wird.“ Als weiteren Sündenfall nannte Geis das Urteil zur Strafverfolgung früherer DDR-Spione. Es handele sich dabei de facto um eine „Generalamnestie“, für die allein der Gesetzgeber zuständig sei. „Dringend“ geboten sei daher, über die Stellung des Verfassungsgerichts nachzudenken. Und erlaubt sein müsse, „über die Verbindlichkeit einer solchen Entscheidung für alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie für alle Gerichte und Behörden nachzudenken“.

Zur Mäßigung im Kirchenkampf riefen dagen die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher und Vertreter der evangelischen Kirche auf. Hamm-Brücher nannte es unglaublich, wie manche Politiker dem Gericht „mit großem Geschütz zu Leibe rücken“, nur weil ihnen das Urteil nicht passe. Der Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, hält das Kruzifix-Urteil für „sehr gut vertretbar“. Eine staatliche Verpflichtung zum Aufhängen der Kreuze „widerspricht der religiösen und weltanschaulichen Neutralitätspflicht des Staates“. Maria Jepsen, Bischöfin der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, forderte, Christen sollten eher die Asylpolitik diskutieren als den „Beschluß über einen mehr oder weniger üblichen Wandschmuck“. Wolfgang Gast Seite 10

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen