■ Stunde Null
: Deutsche Mädchen waren immer tüchtig

Der Sommer des Jahres 1945 geht seinem Ende entgegen. Am 12. August rücken die Franzosen – als vierte und letzte Berliner Besatzungsmacht – in Reinickendorf und Wedding ein. Ihr Kommandant, Brigadegeneral de Beauchesne, fordert von den Deutschen, „durch strenge Disziplin und Zusammenarbeit“ den Beweis zu erbringen, „daß sie sich endgültig von den Naziverbrechen und -methoden getrennt haben, deren Mithelfer sie während so langer Jahre, wenigstens durch ihr Stillschweigen, gewesen waren“. Ein Appell, der irgendwie an der Realität vorbeigeht. Hat sich Berlin doch längst mit seinen Besatzern arrangiert.

Bei einer von der 2. britischen Division angeführten Großrazzia gegen den Schwarzmarkt im Tiergarten werden am letzten Montag im August 27 russische Offiziere aufgegriffen und umgehend von Marschall Schukow degradiert. Einen Tag später verbieten auch die Engländer ihren Soldaten, „irgendwelche Waren oder Gegenstände an deutsche Zivilisten oder alliierte Militärpersonen zu verkaufen oder mit ihnen zu tauschen“. Doch ganz ungefährlich ist für die Berliner die angemahnte Kooperation mit den Besatzungsmächten nicht. So wird in der Nacht des 23. August Leo Borchard, der Dirigent der Berliner Philharmoniker, versehentlich von einem amerikanischen Militärposten erschossen. Der britische Offizier, der Borchard durch den US-Sektor chauffierte, hatte den GI zu spät bemerkt. Abgesehen von solch tragischen, aber geopolitisch eher untergeordneten Ungereimtheiten, scheint jedoch das interalliierte Verhältnis noch ungetrübt.

General Eisenhower besucht im August die Sowjetunion und wohnt auf dem Roten Platz einer großen Sportparade bei. Von der Krasnaja Swesda nach seinen Eindrücken befragt, bekennt Dwight D. gerührt: „Es war ein herrliches Schauspiel, und ich glaube, daß die Menschen anderer Länder sehr erstaunt wären, wenn sie sehen könnten, was in diesem Land für die körperliche Erziehung der jungen Generation getan wird. Alle diese Menschen strotzen geradezu vor Kraft und Glückseligkeit.“

Einen solchen Anblick bietet der gemeine Berliner leider nicht, weshalb Anfang September auch englische Ernährungssachverständige in die Stadt reisen, um mehr als 6.000 Passanten zu wiegen und zu messen. Wie Der Berliner meldet, findet „die Aktion den vollen Beifall und Zulauf der Bevölkerung“. Die hat gerade die erste Nachkriegsvolkszählung über sich ergehen lassen müssen und weiß jetzt, daß in ihrer Stadt nur noch 2.784.112 Bürger und Bürgerinnen leben. Letztere sind deutlich in der Überzahl. Wie die Tägliche Rundschau ihren Lesern mitteilt, kommen auf 100 Berliner 170 Berlinerinnen.

Ein Problem, dem sich der Tagesspiegel in seiner ersten Ausgabe am 27. September auf rührende Weise annimmt. Dort versucht Helmut Kindler in einem fingierten Brief, seiner nach Bayern verschickten Frau zu erklären, warum sich ihre Freundin Gerda mit einem englischen Soldaten eingelassen hat: „Nie war die Sehnsucht nach einem tröstenden Zuspruch, das Suchen nach einem Partner, mit dem man sich aussprechen kann, größer als heute. (...) Natürlich ereignen sich auch Fälle – ich brauch' Dir nichts weiter zu sagen. Manche unserer Frauen und Mädchen verhalten sich so, daß – nun, daß das, was ich gerade geschrieben habe, auf sie nicht gerade zutrifft. Das merken auch die alliierten Soldaten. Sie wissen zu unterscheiden. Aber die weniger schmeichelhaften Äußerungen, zu denen gewisse Frauen oder Mädchen sie veranlaßten, nehmen ab. Woran kann das liegen?

Weil viele unter ihnen nun ein Mädchen gefunden haben, das sie achten können, das sich um sie kümmert, ihnen die Wäsche wäscht und die Knöpfe annäht. Deutsche Mädchen waren immer tüchtig in der Häuslichkeit. In den letzten Jahren haben sie die Fähigkeit entwickelt, in der Arbeit aus jeder Not eine Tugend zu machen. Wie sollte es da ausbleiben, daß aus einer Bekanntschaft eine Freundschaft wird?“ André Meier

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