Pech gehabt, Kranke!

Sozialpolitiker von CDU und FDP wollen 20 Prozent weniger Lohn für kranke Arbeitnehmer  ■ Von Barbara Dribbusch

Berlin (taz) – Eine ernstzunehmende politische Initiative oder nur Theater im Sommerloch? Das fragten sich gestern viele, als die Bild am Sonntag von angeblichen „Geheimplänen“ der Regierungskoalition berichtete, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall drastisch zu kürzen. Der sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Julius Louven, hatte Bild zufolge geäußert, bereits im September werde eine entsprechende Gesetzesvorlage in die Fraktionen gehen. Danach solle die Lohnfortzahlung in den ersten beiden Wochen einer Krankheit um bis zu 20 Prozent gemindert werden.

„Wir wollen den Blaumachern das Handwerk legen“ wurde der CDU-Bundestagsabgeordnete Volker Kauder zitiert. „Dafür müssen alle ein kleines Opfer bringen“. Arbeitnehmer sparten im Krankheitsfalle ja auch Geld, etwa beim Kantinenessen. Louven sprach von „Steuerungselementen“ gegen den „Mißbrauch bei Krankmeldungen“. Auch die sozialpolitische Sprecherin der FDP, Gisela Babel, sorgte für Stimmung: Die FDP sei für die Kürzung, und zwar „je eher, desto besser“.

Der Protest blieb nicht lange aus: Notfalls werde die Gewerkschaft für die Lohnfortzahlung streiken, erklärte IG-Metall-Chef Klaus Zwickel prompt. Der Chef der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (AG), Roland Issen, sprach von einem „hemmungslosen“ Angriff auf den Sozialstaat. Klaus Murmann, Präsident der Arbeitgebervereinigung BDA, lobte hingegen erwartungsgemäß das Ansinnen. Die Lohnfortzahlung koste die Arbeitgeber jährlich etwa 60 Milliarden Mark. Davon ließen sich sicher fünf Milliarden einsparen, so Murmann.

In den Kreisen der CDU-Fraktion war gestern allerdings von dem angeblichen „Geheimplan“ der Parteifreunde nichts bekannt. Zum Thema Lohnfortzahlung gebe es „noch keine in der Regierung und Koalition abgestimmte Meinung“, hieß es dort. Der Vorsitzende des CDU-Arbeitnehmerflügels, Rainer Eppelmann, mahnte: „eine Kürzung schadet dem Standort Deutschland“. Auch der Berliner Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) beschwerte sich über die „ständigen Veröffentlichungen unausgegorener Vorschläge zur Sozialpolitik“ seiner Parteifreunde.

Rein rechtlich ist es äußerst schwierig, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu kürzen. Das entsprechende Gesetz kann zwar mit einfacher Mehrheit von der Regierungskoalition geändert werden und ist auch nicht zustimmungspflichtig durch den Bundesrat. Für 85 Prozent der Beschäftigten ist aber die Lohnfortzahlung tarifvertraglich festgeschrieben. Diese Tarifverträge könnten zwar einseitig von den Arbeitgebern gekündigt werden, danach aber gilt die sogenannte „Nachwirkung“: das heißt, es müßten neue Vereinbarungen getroffen werden. In dieser Phase wären heftige Arbeitskämpfe zu befürchten, die auch die Unternehmer scheuten, so hieß es gestern in der SPD-Fraktion.Siehe Kommentar Seite 10