Es knallt und stinkt

■ Der neue Günter Grass: Jetzt setzt es was

Am 28. August 1995, Goethes 246. Geburtstag, erscheint „Ein weites Feld“, der neue Roman von Günter Grass, das wichtigste Werk seit Danzigeinunddanzig, voluminös, epochal und nobelpreisverdächtig. Der beziehungsreiche Auslieferungstermin signalisiert, daß es sich um Weltliteratur handeln muß. Entsprechend laustark rumpelt es in den Kulissen.

Schwer zu sagen, wer sich bis jetzt am wildesten gebärdet hat. Der Stern, der Spiegel und die Bunte haben sich mit aller Macht ins Zeug gelegt. „Der Traum des 67jährigen Günter Grass: Fontane, meine Frau Ute und ich – eine Menage à trois“, teilte der Stern mit und gab Grass auf sechs farbenfroh illustrierten Interviewseiten die Gelegenheit, sich ins rechte Licht zu setzen („Ich bin Geschichts-Skeptiker“). Auf den Bildern sieht man den Geschichts- Skeptiker mit Frau Ute und mit Pfeife in der Schnute, herausgeputzt wie ein Kanzlerkandidat in der Wahlbroschüre, in Erwartung seines Publikums, von dem er annimmt, es verspüre „einen regelrechten Heißhunger auf diese Art Zumutungen“. Da kommt die Konkurrenz nicht mit. Oder doch?

„Der Chefkellner der Kritik serviert diese Woche im Spiegel“, frohlockt sie vier Tage später. Marcel Reich-Ranicki, der Grass erst vor kurzem bei einer Lesung aus dem neuen Roman demonstrativ sekundiert und stehend applaudiert hat, urteilt nun im Spiegel, der Roman sei „ganz und gar mißraten“, denn er sei nicht „direkt und deftig“, nicht „süffig und saftig“ genug, ja „es verschlägt mir den Atem“, wenn auch nicht die Chefkellnersprache. Auf dem krawallträchtigen Titelbild sieht man Reich-Ranicki den Roman direkt und deftig in zwei Stücke reißen; eins süffig, eins saftig. Hier boxt der Literaturpapst im Kettenhemd. Günter Grass, geübt in der Rolle der beleidigten Leberwurst, hat prompt reagiert und dem Spiegel die Veröffentlichung eines bereits geführten Interviews verboten. Literatur ist das, was nie gelingt; Kritik ist das, was knallt und stinkt.

Noch ist allerdings unklar, wie Grass den gemeinen Seitenhieb pariert, den ihm die Bunte beigebracht hat. Sie stellt in ihrer aktuellen Ausgabe den Roman „Ein weites Feld“ bloß kurz in der Rubrik „menschen + spiele“ vor („Das Bunte-Kreuzworträtsel – diesmal aus der Welt der Literatur“) und dann auch noch mit dem falschen Titel: „,Ein weites Land‘ ist die wichtigste Neuerscheinung im literar. Herbst. Der Autor schrieb auch ,Die Blechtrommel‘. Wer ist es?“ Dreimal dürfen Sie raten. Gerhard Henschel

Redakteur der „Titanic“