„... mir eher eine bessere DDR vorgestellt“

■ Heute vor fünf Jahren beschloß die Volkskammer die Auflösung der DDR zum 3. Oktober 1990. Die SPD-Abgeordnete Luise Morgenstern stimmte nur unter Vorbehalt zu

Luise Morgenstern, Hausfrau, Mutter von fünf Kindern aus Köpenick und jetzige Rentnerin, saß für die SPD in der Volkskammer.

taz: Eine Schar von Laienpolitikern habe ein ganzes Volk samt Besitz verhökert, heißt es heute oft. Sehen Sie das ebenso?

Luise Morgenstern: Schuldgefühle habe ich keine. Natürlich sind die meisten von uns damals völlig unbedarft in die Politik gegangen. Das Leben in der DDR hatte weder große Redner noch Managertypen hervorgebracht. Wir waren Laien, sonst hätten wir vermutlich nicht so wenig an unsere eigenen Bezüge oder unsere Altersvorsorge gedacht. Wir absolvierten ein enormes Pensum, etwa sieben Monate lang, nicht selten bis tief in die Nacht hinein. Ich saß im Petitions-, im Rechts- und im Gauck-Ausschuß. Unter solchen Bedingungen, in so kurzer Zeit, konnte niemand garantieren, daß mit dem Einigungsvertrag alles geregelt sein würde. Wir waren etwa 20 Leute, vor allem Frauen, die eine Erklärung abgaben, daß wir nur unter Vorbehalt zustimmten.

Wie sehen sie das heute?

Sicher hat der Druck der Straße, der Ruf „Wir sind ein Volk“, das Tempo unserer Entscheidungen mehr beeinflußt, als wir heute gerne zugeben. Doch wäre Helmut Kohl damals nicht wie eine Dampfwalze losgerollt, wer weiß, wann außenpolitisch wieder so günstige Bedingungen geherrscht hätten. Die 2+4-Verhandlungen – mit wem wollte man heute verhandeln? Mit allen GUS-Staaten?

Woher stammt dann die Unzufriedenheit vieler DDR-Bürger?

Sicher daher, daß zu wenig bedacht wurde, daß sich Menschen hier über 40 Jahre sehr verschieden entwickelt haben, sei es in der Sprache oder in ihren Gefühlen. Auch wurde die Euphorie hinsichtlich der Vereinigung mißbraucht. Zu schnell wurden große Versprechen gemacht: blühende Landschaften, und keinem wird es schlechter gehen. Ehrlicher wäre gewesen zu sagen: Jetzt müssen wir zehn Jahre, vielleicht länger, den Riemen enger schnallen. Einiges, was im Einigungsvertrag steht, ist heute auch nicht wirksam. So dürften Mieten im Osten nur steigen, wenn gleichzeitig die Einkommen wachsen. Wir haben etwa 87 Prozent an Einkünften, zahlen aber alles hundertprozentig und mehr.

Wollten Sie die Einheit?

Bereits im Februar 90 auf dem Parteitag in Leipzig habe ich mich mit Willy Brandt darüber unterhalten. Brandt fragte, wie ich mir das denn vorstelle mit der Einheit. Und ich sprach von einer verfassunggebenden Versammlung. Auch eine neue Hymne hätte ich dem vereinigten Deutschland gewünscht, die Übernahme so sinnvoller Dinge wie Sero oder die Kita-Betreuung. Genaugenommen war für nicht wenige in der Volkskammer nicht die deutsche Einheit das Ziel. Ich habe mir so wie viele Bürgerbewegte eher eine bessere DDR vorgestellt.

Sind Sie ostalgisch?

Nein, doch ich empfinde es rückblickend als etwas sehr Angenehmes, daß sich alle Menschen mehr oder weniger auf einer Ebene bewegten. Wir hatten zwar nur wenige Reiche, aber wir haben auch keine Bettler gesehen. Über mir im Neubau wohnt die Ärztin, und neben mir wohnt einer, der bei den Verkehrsbetrieben gearbeitet hat. Man grüßt sich, doch der gute Kontakt geht nach und nach verloren. Die Besserverdienenden werden früher oder später in ein anderes Viertel ziehen.

Was macht eine ehemalige Volkskammerabgeordnete heute?

Sie versucht, trotz der Rente von 651 Mark noch ein wenig politisch aktiv zu sein. Großen Einladungen der SPD nach Bonn zu folgen, kann ich mir allerdings nicht leisten. Interview: Kathi Seefeld