„Bitte, quälen Sie mich nicht weiter!“

■ Auf dem „Spiegel“-Titel zerreißt Reich-Ranicki den neuen Grass. Warum auch nicht?

taz: Herr Reich-Ranicki, Ihnen war klar, wie der Spiegel Ihren Brief an Günter Grass aufmachen würde?

Marcel Reich-Ranicki: Nein, natürlich nicht. Solche Titelblätter werden doch nicht mit den Autoren abgesprochen.

Vor zwei Jahren hat der Spiegel Sie als einen die Literatur zerreißenden Pitbull präsentiert. Damals hatten Sie sich gewaltig geärgert. Jetzt zerreißen Sie ein Buch ...

... ich finde das jetzige Titelbild nicht so schlimm. Ich find's allerdings auch nicht besonders glücklich, so ein Bild zu machen. Aber empört bin ich deswegen nicht. Warum soll ich mich über eine Fotomontage aufregen? Ich find's vor allem blöde, wie meine Miene gedeutet wird. Das ist doch eher eine leidende Miene. Nein, halten Sie sich bitte an meinen Text. Ich will keine Seitenhiebe austeilen. Ich bin verantwortlich für den Text und Schluß – nicht für die Bildauswahl.

Schriftsteller haben vor dem Spiegel-Haus in Hamburg demonstriert ...

... nur drei Personen waren da.

Ihr Vorwurf: Das Titelbild erinnere an die Moslems, die in Bradford Salmon Rushdies „Satanische Verse“ zerrissen haben. Ach, das ist doch Schwachsinn, das ist alles Blödsinn. Ich möchte mich mit dieser Frage nicht befassen. Ich bin Literaturkritiker und kein Spezialist für Reklamefragen.

Verstehen Sie, daß Günter Grass beleidigt ist?

Natürlich verstehe ich das. Er hat ein Werk geschrieben, das er für sein Lebenswerk hält — und muß in allen Zeitungen lesen, daß es Mist ist.

Wieso haben Sie Ihren Verriß als Brief geschrieben?

Weil es mir so gefallen hat. Bitte, quälen sie mich nicht weiter. Ich möchte darüber nicht reden. Interview: Jörg Häntzschel

Marcel Reich-Ranicki wußte nichts von dem „Spiegel“ Titelbild? Mathias Schreiber, Feuilleton-Chef des „Spiegel“, sagt, Reich-Ranicki habe die Fotomontage gesehen und auch für gut befunden. Der Titel, so Schreiber, solle an das Gemälde „Moses mit den Gesetzestafeln“ erinnern.

Anm. d. Red