Das Luftschloß Flugzeugindustrie platzt

■ Deutschland wird mit der Daimler-Strategie keine Luftfahrtweltmacht

Hamburg (taz) – Franz Josef Strauß rotiert im Grabe. Helmut Schmidt schüttelt die Oberlehrertolle. Edzard Reuter faltet sein klassisches Profil. Jürgen Schrempp tobt durch den Schlagzeilenwald. Gerhard Liener packte seine Siebensachen. Und Hartmut Mehdorn macht aus Verzweiflung eine Druckerlehre. Soviel Männerelend, hervorgerufen durch milliardengroße Finanzlöcher in Daimlers Luftfahrtimperium Deutsche Aerospace (Dasa) hat – wen wundert's? – pronto Gerhard Schröder und Edmund Stoiber auf den Plan gerufen: Am 25. September werden die großindustrievernarrten Länderchefs zusammen mit Managern und Betriebsräten in München beratschlagen, ob nicht doch noch in letzter Sekunde der Steuerzahler retten kann, was die Deutsche Bank, Daimler und Ex-Dasa- Chef zusammen in den Sand gesetzt haben – die Großmachtvision von einer Deutschen industriellen Lufthoheit.

Einen ersten tatkräftigen Anlauf dazu hatte Altkanzler Helmut Schmidt Ende der 70er Jahre im Doppelpaß mit dem Airbus- und Starfighter-Fan Franz Josef Strauß unternommen. Schmidt beauftragte den späteren Deutsche- Bank-Boß Alfred Herrhausen mit der Prüfung der Angelegenheit. Doch, die Zeit war noch nicht reif.

Nur wenige Jahre später jedoch, als Schmidts Genosse Edzard Reuter den Daimler-Chefsessel erklomm und Herrhausen die Deutsche Bank und den Chefsessel im Daimler-Aufsichtsrat übernahm, war der Weg frei für den Aufbau des größten deutschen Wirtschaftsimperiums aller Zeiten: Mit staatlicher Hilfe, in Jahrzehnten schwäbischer Autobauerei angesammelter Rücklagen und dank massiver Hilfe durch gezielte Männerkungelei im Vieleck von CSU, CDU, Schmidt-SPD und einigen der wichtigsten deutschen Wirtschaftsführer, kaufte und fusionierte sich Daimler mit MTU (Triebwerke), Dornier (Flugzeuge, Rüstung), MBB (Rüstung, Flugzeuge, Hubschrauber, 38-Prozent-Beteiligung am europäischen Airbus-Konsortium) und Fokker (Flugzeuge) ein wildes Konglomerat von Unternehmen zusammen.

Der ehrgeizige, in Südafrika und im Lkw-Geschäft gereifte Daimler-Aufsteiger Jürgen Schrempp bekam von Reuter den Auftrag, das Luftfahrtdurcheinander unter dem Dach der Deutschen Aerospace zu ordnen. Zwar hatte Reuter noch 1985 dem Daimler-Vorstand laut seines mittlerweile geschaßten Finanzvorstandes Gerhard „geschworen, daß wir auf keine Fall Flugzeugbau machen wollen und daß dieses Geschäftsfeld bald abgestoßen werden wird“.

Doch 1989, bei der alles entscheidenden Übernahme von MBB, die das Kartellamt untersagte, der Bundeswirtschaftsminister aber per Extra-Genehmigung gestattete, brachen alle Dämme. Bei Daimler wurde feste geträumt: Die deutsche Airbuszentrale in Hamburg sollte die Vormachtstellung der Franzosen im europäischen Konsortium knacken. Mit einem neuen Großraumflugzeug (600 bis 800 Sitzplätze), dem Einstieg in den Markt der Regionalflugzeuge (bis 100 Sitzplätze) und dem Ausbau der Airbus-Typen- Palette glaubte man, noch vor dem Jahr 2000 zusammen mit Boeing den Flugzeugweltmarkt beherrschen zu können. Dornier mit seiner Eigenentwicklung Do 328 (voraussichtlicher Gesamtverlust heute über 2 Milliarden Mark) und die 1992 teuer zugekaufte völlig marode niederländische Fokker (Anlaufverlust bis heute: 1,3 Milliarden Mark) sollten der Dasa die Führung auf dem Weltmarkt für Regionaljets bringen.

Waghalsiges Kalkül, schlechtes Management

Vielleicht hatte dieses waghalsige Kalkül sogar eine kleine Chance. Dasa-Chef Jürgen Schrempp jedoch spielte firmenpolitisches Jojo, suchte die Interessen der Südachse Stuttgart – München des Konzerns gegen die norddeutschen Airbusinteressen abzuschotten. Dornier wurstelte an seinem Pleitevogel Do 328 weiter, die zugekaufte Fokker fand keine Anbindung zu der von der DA schon lange erträumten Entwicklung eines Regionaljets, die Airbuspalette der DA blieb unvollständig.

Jetzt droht noch mehr Ungemach: Mit der neuen B 777 wird Boeing in Kürze einen ganz harten Airbus-Konkurrenten auf den Markt werfen. McDonell will mit dem geplanten Kurzstreckenjet MD-95 die Airbusfamilie von unten attackieren. Im Markt der Regionalflugzeuge haben sich Briten, Italiener und Franzosen zu einer schlagkräftigen Dreierallianz verbündet, die der Dasa den Marktzutritt ganz verwehren möchte.

Wie hart und verzweifelt der Kampf mit Boeing geführt wird, zeigen Bestechungs- und Spionage-Vorwürfe: So soll der Verkauf von 32 Airbus A 320 an die Air Canada im Jahr 1988 durch eigentümliche Provisionszahlungen an Briefkastenfirmen befördert worden sein. Die Deutsche Airbus dementiert, amerikanische und kanadische Stellen ermitteln.

Trotz all dieser Wirren, so meinen die Dasa-Betriebsräte und auch das Hamburger Airbus-Management, hätte gerade der Airbuszweig des Dasa-Imperiums eine gute Zukunftschance: Die in den letzten Jahren neu aufgebauten Produktionslinien gelten als die effizientesten weltweit, in den Bremer und Hamburger Entwicklungsabteilungen steckt ein Know- how-Potential, welches auf dem Weg zum „Öko-Flugzeug“ große Schritte vorankommen könnte. Doch statt eine leistungsfähige deutsche Flugzeugindustrie aufzubauen, setzt Daimler-Chef Schrempp auf Dolores, auf Verlagerung ins Ausland und reine Einsparung. Die Subventionsmilliarden versickern in den Luftlöchern der Daimler-Bilanzen. Der Fusionskritiker Ernst-Joachim Mestmäcker fragte sich schon 1989 spöttelnd, ob die Vermutung denn wirklich gerechtfertig sei, „daß Daimler und die Deutsche Bank besser mit öffentlichen Mitteln umgehen können als andere Unternehmen“. Florian Marten