Kinder an die Macht

■ Das Bundesverfassungsgericht entscheidet demnächst eine Beschwerde, die die Senkung des Wahlalters fordert

Berlin (taz) – Zwei Berliner Jugendliche wollen für sich und alle anderen Kinder und Heranwachsenden das Wahlrecht durchsetzen (siehe taz von gestern). Seit gestern liegt dieses Anliegen in Form eines Schriftsatzes in Karlsruhe den Bundesverfassungsrichtern vor. Für die Umsetzung ihres Wunsches haben der 16jährige Benjamin Kiesewetter und der 13jährige Rainer Kintzel den Münchner Anwalt Peter Merk gewonnen. Der will nun mittels einer Verfassungsbeschwerde verschiedene Grundgesetzartikel gegeneinander ausspielen.

„Wählbar ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat“, heißt es in Artikel 38. „Dieser Artikel ist selbst verfassungswidrig“, sagt Merk. Er widerspreche dem Demokratieprinzip des Artikel 20: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Merk hat seinen Mandanten von Anfang an die Erfolgsaussichten klar vor Augen geführt: Mit größter Wahrscheinlichkeit wird sie mit dem lapidaren Vermerk: „Keine Aussicht auf Erfolg“ zurückgereicht werden.

Es scheint schon fraglich, ob das Verfassungsgericht die Klage überhaupt für zulässig erachten wird. Die Klage ist ein Präzedenzfall, da zum ersten Mal der Verstoß eines Artikel gegen einen anderen gerügt wird. Verfassungsbeschwerden sollen dem Bürger dazu dienen, einfache Gesetze oder Entscheidungen überprüfen zu lassen – nicht aber die Verfassung selbst. Merk begründet seinen Optimismus, daß die Klage zur Prüfung angenommen wird, mit einem Verweis auf den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Roman Herzog. Der hat der Klage insofern Argumente an die Hand gegeben, als er in einem Kommentar zum Grundgesetz dem Artikel 20 ein größeres Gewicht als den anderen Artikeln bescheinigte.

Merk findet, daß Kinder bereits Verpflichtungen haben und ihnen von daher auch Rechte zustehen müßten. „Schon einem siebenjährigen Kind“, so Merk, „kann bei einem Verkehrsunfall eine Mitschuld angerechnet werden. Das heißt, es wird massivst einbezogen und ernst genommen.“ Und: „Mit sieben ist es strafmündig, aber wählen darf es nicht. Mit 14 darf es seine Religion bestimmen, aber wählen darf es nicht.“

Merk ist Anhänger eines „Vertretungsmodells“. Er möchte, da er selbst weiß, wie illusorisch der Urnengang einer Dreijährigen ist, daß bis zu einem bestimmten Alter die Eltern vertretungsweise das Wahlrecht der Kinder wahrnehmen.

Wie man sich dann vor einem Mißbrauch der Eltern wehren könnte, sei eine andere Frage, erklärt der Kinder-Anwalt, „erst einmal muß man das Juristische klären. Julia Albrecht