■ Der umgekehrte Dracula von Berlin
: Das Bluthaus in Wedding

Es geht um Blut. Viel Blut. Riesentöpfe, die von Leuten gefüllt werden, bei denen man an nichts Böses denkt. Blut, garantiert ohne Ketchup-Zusatz: aber mit Vanillegeschmack. Filmblut.

Die Geschichte beginnt vor genau 50 Jahren, im August 1945, mitten in den Berliner Trümmerfeldern. Arnold Langer und seine Frau gründen die Kryolan GmbH. Sie stellen „professionelle Schminkmittel für Theater, Film und Fernsehen“ her. Binnen kurzer Zeit wird Kryolan Hauptlieferant der Berliner Theater. „Wir hatten auch eine Filiale im sowjetischen Sektor – viele Firmen hatten das, weil man dort Alkohol kaufen konnte“, erinnert sich Langer. 1950 wurde die Filiale im Ostsektor zunächst geschlossen. Da nach Kriegsende das Blutvergießen auf dem Theater aber mitnichten beendet war, erhielt die Firma noch im selben Jahr die Erlaubnis, weiter zu produzieren. „Wir waren damit die einzige Westberliner Firma mit einer Lizenz im Osten.“

Das Geschäft im Ostenv lief unter einem anderen, ähnlich klingenden Namen: Koloran. Bis zum Mauerbau 1961 habe das Arrangement in Sachen Blutabnahme funktioniert, „aber dann mußte ich es endgültig aufgeben“, sagt Firmenchef Langer. Nach der Wende hat er seinen Teil der Firma zurückgekauft und vier der sieben Angestellten übernommen. Sein Wendefazit: „Die Qualität der Produkte war schlecht, aber die Mitarbeiter sind gut.“ Insgesamt arbeiten 70 Leute für die inzwischen wiederverheilte Kryolan in Berlin. Weltweit panschen 110 Blutmixer, inklusive der Niederlasung in San Francisco.

Langers Bluthaus mit Firmensitz im Weddinger Kiez ist gegenwärtig weltgrößter Produzent von Kunstblut. „Wenn Sie einen Film sehen, in dem jemand verletzt wird, dann wird unser Blut vergossen“, sagt Arnold Langer. Weltweit ordern Maskenbildner und Requisiteure in seinem Haus alles, von Puder und falschen Augenwimpern bis zum künstlichen Lebenssaft. Nach eigenen Angaben deckt Kryolan 80 Prozent des deutschen Bedarfs an Kunstblut. Obwohl Hardcore-Filme entweder zensiert oder um ihren Blutgehalt geschnitten werden, wird auf den Leinwänden geblutet und gestorben wie nie zuvor. Allein in den vergangenen zehn Jahren, meint Langer, habe sich sein „Blutabsatz“ verfünffacht. Seine Rezepte hält Langer streng geheim. Die intimste Frage überhaupt in dieser Branche ist, wie das Blut so herrlich flüssig wird. Unter den Zutaten sind nämlich normalerweise klümpchenbildendes Glyzerin, Füll- und Farbstoffe.

Den Markt hat Langer nicht nur mit einer Sorte ausgeblutet. Der umgekehrte Vampir weiß um die Wünsche seiner Kunden. Deshalb produziert Kryolan mehr Sorten Blut, als in der Natur tatsächlich austritt. Mal dick, mal dünn, mal dunkel, mal hell und mal – wie neulich im Labor hergestellt – schnell verschwindendes Blut. „Unsere populäresten Säfte waren anfangs Sonderprodukte.“ Etwa Blut mit einem erlesenen Duft oder angenehmen Geschmack. „Einige Schauspieler bevorzugen Vanillegeschmack, wenn sie aus dem Mund blutend auf den Asphalt sinken“, erklärt eine Chemikerin.

Langers Junior hat die Firma international verbreitet. Anfang der Siebziger reiste er mit dem Musterkoffer nach Hollywood und unterbreitete den Filmproduzenten – wie der Pate in Coppolas Film – „ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnten“. Noch vor dem Ende des Jahrzehnts zog Kryolan mit der Außenstelle in San Francisco ihr USA-Geschäft auf.

Und was hält die Familie von Ketchup? „Ich mag das Zeug nicht“, sagt Wolfram Langer. „Es ist nicht halb so gut wie unser Blut.“ Karen Nickel-Anhalt