Zwischen den Rillen
: Meister aller Sprechklassen

■ Ritter der Schwafelrunde: Deutscher HipHop im Dreierpack

Junge Menschen haben oft ein Problem: Andere nehmen sie nicht so richtig ernst. Deshalb behaupten sie dreist, sie wären sowieso die Größten. Hörzu, ein Quartett aus Krefeld, sehen zwar nicht mehr allzu jung aus, aber ihr Problem bekämpfen sie auf ihrer ersten kompletten Platte „Ritter der Schwafelrunde“ aufs ausführlichste. Alles dreht sich ums eine: Hörzu hinterm Mikro, Hörzu auf der Gästeliste, Hörzu im Whirlpool, Hörzu beim Freestylen, Hörzu beim Baseball, Hörzu überall – immer „kühl“ und immer die Tollsten, garniert das Ganze mit traditionellem Sexismus und Faszination am Gangstertum. Ironie: leider keine vorhanden.

Woanders hat sich im HipHop längst ein sanfter Kiff als Grundstimmung und Bewußtseinsnote durchgesetzt – hierzulande gehen THC und Alkohol meist unheilige Allianzen ein. Hörzu trennen deshalb fein säuberlich. Für die Texte ziehen die vier Krefelder das beliebte Grundnahrungsmittel heran: In „Steig ein“, der Beschreibung eines typisch verstandenen Tages, dreht sich alles um den Kater vom Vorabend, Imbißbuden, Videotheken und Bierdosenpaletten – damit auch der kommende Tag wie der vergangene sein möge.

Aber dann dieses Eigenlob! Selten rühmten sich Rapper – jedenfalls deutsche – so ausführlich wie Hörzu: „Wenn ich anfange zu rappen, fliegen die Löcher aus dem Käse ... denn ich bin Funky Philipp, der Meister aller Klassen.“ Immerhin widmen sie der Anerkennung anderer ein extra Stück. Namen werden runtergebetet und mit einem knappen „Respekt“ ergänzt. Das ist schlicht und schön.

Ansonsten muß man in der Lage sein, den Text möglichst vollständig auszuknipsen. Dann bieten Hörzu Beats und Raps, die in G-Funk-Eleganz daherschwimmen. Liebevolle Samples (zum Beispiel aus Trios „Sabine, Sabine, Sabine“) und Disco-Riffs aus den 70ern erwecken nie eingelöste Versprechungen aus der Kindheit wieder zum Leben. Fazit: einiges vorhanden an reimerischem und rhythmischem Potential, aber leider ans Dumpfbackentum verschenkt.

In einem anderen Provinzstädtchen, Kempten, haben die 40 Thieves den anderen deutschen HipHop-Erweckungsweg durchlaufen: vom Punkrock zu den Wortkaskaden und den scheinbar unbegrenzten musikalischen Möglichkeiten. Auf ihrem Debüt „... paß auf, wohin er rennt ...“ verweigern sie sich ganz bewußt dem Fettnessgebot und bevorzugen zerbrechliche Beats und Samples aus klapprigen Bässen, Glockenspiel oder altmodischen Punkgitarren. Ihre Rhythmik ist ein liebevoller Klaps auf die Schulter – darf ich bitten? Und selbst Tom Waits läßt sich zu Loops breitschlagen. Auch die eingesampelten Dialoge aus TV-Serien (vorzugsweise Sci-fi) zerstören die feine Struktur kein bißchen, dafür verdeutlicht dieses beliebte Studentenspielchen den aufklärerischen Ansatz.

Die Diebe reden nie ungefiltert von sich, selbst Rapperin Tinky V im blutig endenden, aber trotzdem wundervollen, „Lovesong“ nicht. Was als gefühlsduseliger Schmachtfetzen beginnt, wird zur Reportage einer Betroffenen des alltäglichen Sexismus. So verorten sie sich in der Gesellschaft durch Abgrenzung, beurteilen als „Praktikant im Stadtjugendamt“ den Stand der Dinge, aber suchen auch nach Ähnlichkeiten mit dem medizinisch-technischen Assistenten aus „M.T.A.“.

Dabei versöhnen 40 Thieves starre Politpunkslogans mit der persönlichen Beobachtung, gehen vom Privaten ins Öffentliche. Wo Hörzu einfach dummdreist behaupten, sie wären schon wer, ist ihr Standpunkt ein distanzierter, der auch in fremden Charakteren nach dem eigenen Ich sucht. Klar, daß dieses Tasten bei weitem sympathischer ist als das pubertäre Großtun von Hörzu.

Wie auf einem Hochsitz können derweil Moses P. und Thomas H. sich den Flurschaden betrachten. Längst schon sitzt das Rödelheim Hartreim Projekt nicht mehr zwischen den Stühlen, sondern fest im Sessel bei Alfred Biolek, dem Moses P. mit sanfter Stimme in der ARD Tradition und Funktion des „dissen“ erklären durfte. Die Frankfurter dürfen es sogar wagen, nach gerade mal einer Platte eine EP „Live aus Rödelheim“ mit nur zwei neuen Songs herauszubringen, die vollständig auf Samples und DAT verzichtet und die Songs von ihrem Debüt live reproduziert. Daß sie es längst nicht mehr nötig haben, andere anzupissen, um aufzufallen, beweist auch, daß sie als Single-Auskopplung aus der EP die Ballade „Keine ist“ gewählt haben.

Nichts scheint ihnen etwas anhaben zu können, selbst wenn sie auf „Live aus Rödelheim“ gefährlich nahe an Mainstream- Rock heranschliddern. Im schlimmsten Fall entsteht ein harmloser Schweine-Funk, der hintenrum von einer gniedeligen Gitarre angegangen wird. Zwar bedienen sie alle klassischen Live-Erwartungen, ob nun das Duett mit Schwester S. oder die Animation des Publikums, aber souverän meistern sie die Klippen des Kitsches, auch wenn auf der Bühnenkonserve notwendigerweise ein Stück ihrer eleganten Fragilität verlorengeht.

Diese Live-Aufnahmen sind zwar wenig mehr als ein Dokument für die Massenkompatibilität des Projekts, aber da oben im Hochsitz läßt sich gut das Gerangel um die Krumen beobachten, ohne daß man sich selber noch mal die Finger schmutzig machen muß. Thomas Winkler

Hörzu: „Die Ritter der Schwafelrunde“ (Move/ EFA)

40 Thieves: „... paß auf, wohin er rennt ...“ (Fünfundvierzig/ Indigo)

Rödelheim Hartreim Projekt: „Live aus Rödelheim“ (MCA/ BMG)