„Ort am Rand“

Brandenburgisch bleiben oder sächsisch werden – eine Kleinstadt streitet um ihre Landeszugehörigkeit  ■ Aus Ortrand Detlef Krell

In Ortrand tobt der Wahlkampf. Flugblätter werden verteilt. Mißmutig verweigern Passanten jede Auskunft. Die Leserbriefspalten der Lokalpresse kennen nur ein Thema. „Wir sind Sachsen“, stellt eine grau gelockte Dame in der Pfarrgasse klar. „Wir bleiben Brandenburger“, grummelt vor dem Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr ein stämmiger Mann in Turnhose. Die Sächsin schimpft noch ein bißchen auf „die Kommunisten“, der Brandenburger steigt wortlos in seinen Trabbi. Eine „Jahrhundertchance“, jubeln die Plakate.

Ortrand weiß nicht wohin. Die Amtsstadt an der brandenburgisch-sächsischen Grenze ist innerlich zerrissen. Vor fünf Jahren, als die östlichen Bundesländer neu geordnet wurden, waren Tausende Ortrander mit grün-weißen Fahnen auf die A13 gestürmt. Stundenlang blockierten sie die an ihren Häusern vorbeiführende Autobahn für die Rückkehr Ortrands nach Sachsen. Vergebens. Der Kreistag in Senftenberg entschied mit einer Stimme Mehrheit für Brandenburg. Stolpe reiste nach Ortrand. Danach votierte auch das Stadtparlament knapp für Brandenburg. Die „Allianz für Sachsen“ schimpft seitdem das Stolpe- Land „Okkupant“ und kämpft für einen Landwechsel.

Sonntag abend wird für die rund 8.000 EinwohnerInnen von Ortrand und eingemeindetem Umland das Länderspiel abgepfiffen: Den Zank um die bessere Landesfahne soll eine vom Stadtrat gegen die Stimmen der PDS beschlossene Bürgerbefragung schlichten.

Falls sich die BürgerInnen mehrheitlich für einen Beitritt zum Freistaat entscheiden, „werde ich mit Freude dafür eintreten, daß Sachsen einen würdigen Empfang bereitet“. Das hat der sächsische CDU-Abgeordnete Horst Rasch den Ortrandern fest versprochen. „Sachsen steht als vertragschließende Seite bereit. Aber gegenüber Potsdam müssen Sie sich die Freiheit selbst erkämpfen.“

Grün-weiß-Fans wissen die Historie auf ihrer Seite. Ortrand, 1238 erstmals erwähnt, gehörte bis 1815 zu Sachsen. Der Wiener Kongreß schlug es mit der nördlichen Oberlausitz zur preußischen Provinz Schlesien; aber der Meißener Löwe überwintert noch im Stadtwappen. Die sächsische Junge Union sagt es auf ihre Art: Stolpe habe nicht das Recht, „einen Ort, der seit Jahrhunderten sächsisch war, nicht ziehen zu lassen“.

Im Ortrander Rathaus regiert der Bürgermeister mit absoluter DSU-Mehrheit. Alf Korn ist Bundesgeschäftsführer dieser Schrumpfpartei. Seinen Wahlerfolg darf er getrost als Votum für den Länderwechsel werten: „Gewählt wurden Leute, die für Sachsen sind!“ Alle anderen dagegen, von CDU bis PDS, „machen gemeinsame Sache“ gegen den Freistaat und, wie Korn es darstellt, gegen die Stadt: „Investoren verabschieden sich wieder, wenn sie hören, daß hier Brandenburg ist. Und der Mittelstand wandert ab.“ Kommt Ortrand erst mal unter Biedenkopfs Krone, werde alles besser. Korn präsentiert Zusagen des sächsischen Innenministeriums: Darin wird „verbindlich“ in Aussicht gestellt, daß Ortrand der Status „Unterzentrum“ zustehe. Ein Gewerbegebiet sei „genehmigungsfähig“, der Turnhallenneubau „förderfähig“, und Autokennzeichen „behalten Gültigkeit“. Brandenburg verspricht Gleiches. Länderwechsel, warnt in Senftenberg Landrat Holger Bartsch, bringe „keinen Statusgewinn“. Ein Leserbrief an die Lausitzer Rundschau begrübelt das „Aufwärmen abgeschlossener Themen“. Der Schreiber rät: „Vielleicht sollten die Bürger von Ortrand nicht über die Länderzugehörigkeit, sondern über die Wahl eines neuen Stadtparlaments nachdenken.“

Ortrand an der Autobahn ist und bleibt „Ort am Rand“. Bis in die brandenburgische Landeshauptstadt sind es 165 Kilometer, nach Dresden knapp 33. Arbeit geben das BASF-Werk im brandenburgischen Schwarzheide, die hundertjährige Eisenhütte im Ort. Auf einem Gewerbegebiet an der nächstgelegenen sächsischen Autobahnabfahrt haben sich 40 Betriebe angesiedelt. Gutes Argument für die „Allianz“. Die versprechen sich wer weiß was davon, meint die Kellnerin im Stadtcafé. Ihr sei ziemlich gleichgültig, wie das Ländermatch ausgeht: „Wir sind offen für alle Gäste.“

Wenigstens darin sind sich die zerstrittenen Ortrander einig: Am Sonntag abend fällt der Hammer. Dann wird nicht mehr diskutiert. „Wir akzeptieren das Ergebnis“, beteuert ein Allianz-Aktivist, „ob nun für oder gegen Sachsen. Damit endlich Ruhe ist.“