piwik no script img

■ Auf der Funkausstellung kann man die Formel 1 aus fünf Kameraperspektiven sehen, alle 30 Minuten beginnt "Forrest Gump" auf einem anderen Kanal - Leo Kirchs Show soll uns ins digitale Pay-TV lockenErst Kirch wählen, dann zahlen

Auf der Funkausstellung kann man die Formel 1 aus fünf Kameraperspektiven sehen, alle 30 Minuten beginnt „Forrest Gump“ auf einem anderen Kanal – Leo Kirchs Show soll uns ins digitale Pay-TV locken

Erst Kirch wählen, dann zahlen

Der neue Leo Kirch ist da. Er versteckt sich nicht mehr hinter Strohmännern, und wir brauchen nicht mehr zu rätseln, was er als nächstes unter seine Kontrolle bringen will. Seit er vor zwei Wochen als Großaktionär bei Springer öffentlich die Ablösung des Chefredakteurs des Welt gefordert hat, weil der den falschen Kruzifix- Kommentar ins Blatt gehievt hat, wissen wir: Kirch tut nicht mehr so, als wollte er seine ökonomische Macht politisch nicht ausnutzen. Und ab heute morgen will er uns allen zeigen, daß er und sein Sohn Thomas sich mit zweiten und fünften Rängen im Fernsehgeschäft (Sat.1 und Pro 7) nicht mehr zufrieden geben werden. Die digitale Datenkompression macht es möglich, und Kirch zeigt, daß sein Imperium die Nase vorn hat: Ab heute früh acht Uhr dürfen wir auf der Internationalen Funkausstellung schon mal an dem schnuppern, was uns ab nächstem Frühjahr im Wohnzimmer erwartet. Alle dreißig Minuten startet Kirch dann auf einem anderen Kanal den Kassenknüller „Forrest Gump“, alle Dreiviertelstunde „Der bewegte Mann“ („near-video-on-demand“). Am Sonntag sind dann fünf Kanäle für das Formel-1-Rennen im belgischen Spa geschaltet – der Zuschauer kann die Perspektive eines Cockpits wählen, den führenden Wagen oder die Kämpfe im Mittelfeld beobachten oder an den Boxen dabeisein. Dienstag und Samstag der nächsten Woche schließlich zeigt uns der Kirch-Sender Sat.1 auf der IFA alle Bundesligaspiele live, jeweils eins davon aus vier Kameraperspektiven gleichzeitig.

Seit einigen Tagen zieren drei neue große Satellitenschüsseln die Kirch-Zentrale in München-Unterföhring. Von dort gehen die Signale für insgesamt 27 Kanäle zum ersten digitalen Astra-Satelliten. Zwar können sie überall mit heimischen Satellitenschüsseln empfangen werden – wer's versucht, wird aber nur sein graues Rauschwunder erleben. Die komprimierten Signale müssen erst wieder entschlüsselt werden. Und von dem Kleincomputer, der das kann, existieren bislang nur die Vorführexemplare, für deren Entwicklung sich Kirch mit dem finnischen Konzern Nokia zusammengetan hat. Diese Decoder (auch „Set- Top-Boxen“ genannt) sind die eigentliche Neuerung dieser Funkausstellung.

In rund zwei Jahren werden sie zusammen mit drei neuen Astrasatelliten unsere Fernsehwelt etwa so gewandelt haben: Die bisherigen Programme, auch die von ARD und ZDF, werden dann sowohl digital als auch im alten „analogen“ System ausgestrahlt – letzteres für die Mehrheit, die für Digitales kein Geld ausgeben will oder kann. Die öffentlich-rechtlichen Sender werden sogenannte Spartenkanäle eingerichtet haben: zum Beispiel für Kinder, Bildung, Dokumentationen oder Spielfilme. Voraussetzung: Bei der anstehenden Erhöhung der Rundfunkgebühren wird das Geld, das für mehr als reine Wiederholungskanäle nötig ist, genehmigt. Ob den Öffentlich- Rechtlichen im Rundfunkstaatsvertrag, der gerade neu ausgehandelt wird, erlaubt wird, auch ins Pay-TV einzusteigen, steht noch in den Sternen. Sicher ist: Bei den Privaten wird zusätzliches Geld nicht aus der Werbung kommen, auch hier werden die Zuschauer zur Kasse gebeten.

Neue Kanäle werden wie in den USA als Pakete geliefert: Ein Sport-, zwei Pop-, ein Klassik- und ein Kinderkanal etwa können für knapp 20 Mark im Monat angeboten werden – weniger als die Hälfte dessen, was heute das Abo des einzigen Pay-Senders Premiere kostet. Kirch wird ein solches Paket schnüren und auch alle anderen, die sich im letzten Jahr mit Lizenzen für Spartenkanäle versorgt haben, darunter die Amerikaner Viacom (MTV, VH-1) und Disney- ABC (Super-RTL, RTL2, TM3) – und sicherlich auch Bertelsmann.

Das Tauziehen darüber, wer diesen Zukunftsmarkt beherrschen wird, hat längst begonnen, bevor im nächsten Frühjahr die digitalen Geräte in Serie gefertigt werden: Denn der Decoder ist Schnittstelle nicht nur in der Wohnung, sondern auch Schaltstelle auf dem Markt. Darum, wer das System mit seinem Decoder steuern darf, konkurriert gegen das Gespann Kirch-Nokia eine Koalition, zu der neben der Deutschen Telekom, Bertelsmann, die CLT, deren gemeinsamer Sender RTL sowie ARD und ZDF gehören. Doch ihre „Multimedia-Betriebsgesellschaft“ (MMBG) hat sich noch nicht einmal auf die technischen Spezifikationen eines Konkurrenzdecoders geeinigt.

Zum ersten Showdown wird es demnächst unter den Gesellschaftern des größten Abnehmers von Decodern kommen: Premiere muß allen seinen 910.000 Abonnenten die bisherigen Decoder gegen digitale austauschen. Und die größten Anteilseigner heißen dort Bertelsmann und sein französischer Partner Canal Plus (zusammen 75 Prozent). Kirch hält zwar nur die restlichen 25 Prozent, doch sein Geschäftsführer Gottfried Zmeck lächelt siegesgewiß: Man werde ja sehen, wer ein Gerät und wer nur Papier präsentiere.

Wer auch immer das Rennen gewinnt – nur noch ein Umstand kann verhindern, daß im Frühjahr ein neuer Markt für Pay-TV entsteht: Die großen Medienkonzerne haben die zulässige Zahl ihrer Sender bereits ausgeschöpft. Für die meisten der neu geplanten dürfen daher gar keine neuen Lizenzen vergeben werden – es sei denn, SPD und Union hätten sich bis dahin auf einen Rundfunkstaatsvertrag geeinigt, mit einer neuen Form der Konzentrationskontrolle. Doch danach sieht es im Moment nicht aus – schon gar nicht, nachdem Leo Kirchs versuchter Verlegerputsch bei der Welt ein paar SPDler mehr aufgeweckt hat. Michael Rediske

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen