Dieser Frosch bleibt Frosch

Nach 13jähriger Pokal-Abstinenz akzeptiert Oberligist Heider SV mäßig geknickt das glatte 1:6 gegen den kaum inspirierten Superprinzen SC Freiburg  ■ Aus Heide Claudia Thomsen

Es gibt Landschaften, deren vielfältige Schönheit für läppische ein, zwei Blicke nicht zu haben ist. Nennen wir Dithmarschen nicht öde, betrachten wir es wie eines jener guten Kunstwerke, das sich nicht aufdrängt, sondern nach dem Betrachter fragt. Lediglich zwei leichte – natürlich künstliche – Erhebungen überbrücken die Stör und den Nord-Ostsee-Kanal, ansonsten ist es sehr, sehr flach hier. Reichlich Platz für Gedanken, für Kühe und zum Fußballspielen. Auf den Feldern, Wiesen und Gräben ist der Wind, den man hier steife Brise nennt, sehr gut zu sehen. Kann Gleichförmigkeit etwa doch dramatisch sein?

Hundert Kilometer nördlich von Hamburg bricht die A 23 plötzlich sang- und klanglos ab. Letzte Ausfahrt Heide-West. In der „Touristeninformation Heide“, gleich neben dem größten unbebauten Marktplatz Deutschlands, ist man sonnabends nur von zehn bis zwölf zu sprechen. Wie gut, daß die Welt heutzutage ein medial vernetztes Dorf ist, in dem schließlich auch die 20.000 Einwohner Heides leben. Ein Wandcomputer gibt Auskunft. Die Rubrik „Ereignisse, aktuell“ informiert zwar über die nächste Oberligabegegnung gegen den VfL Pinneberg, das unmittelbar bevorstehende DFB-Pokalspiel des Heider SV gegen den SC Freiburg bleibt jedoch digital unerwähnt. Das wundert nicht wenig, schließlich mußte „Fußball-Dithmarschen“ (Dithmarscher Rundschau) 13 Jahre warten, bis sich der „Ha-Es- Vauh“ (DR) wieder mal für die erste Hauptrunde des DFB-Pokals qualifizieren konnte.

800 Meter von Touristeninformation und Rathaus entfernt liegt das Stadion an der Meldorfer Straße. Am meisten war hier in den 60er Jahren los. 10.000 und mehr Fans wollten die Heimspiele des HSV damals sehen. „Wir waren eine richtige Fahrstuhlmannschaft. Zwischen 1956 und 1969 sind wir fünfmal in die Oberliga-Nord auf- und wieder abgestiegen“, erzählt Ligaobmann Ernst Adolf Heinrich Claussen, von allen hier schlicht „Heine“ genannt, lange nach dem Spiel. Vorher kann er nicht viel sprechen. Recht still geht es auch im Vereinsheim, dem „Spiel-Casino“, zu, obwohl es bereits zwei Stunden vor dem Spiel voll ist. Fünf Freiburger Fans durchbrechen röhrend die etwas angespannte Stimmung – niemand hält gegen. Das Podest, auf dem die heimischen Spieler stehen, ist für Schlachtgesänge denn doch nicht hoch genug. In der vierten Liga fehlt der für Anbetung nötige Abstand.

Einige tragen T-Shirts, auf denen die Begegnung schlicht als „Die Herausforderung“ bezeichnet wird. Schwarz auf weiß, die Vereinsfarben eben. Von den zehn Mark für das Baumwolljersey gehen acht an die Jugendabteilung des Oberligisten. Draußen verkaufen Frauen, Schwestern und Mütter der Kicker Fischbrötchen, selbstgebackenen Kuchen, Sekt und Orangensaft. Beim Pendeln zwischen den Ständen wird wieder und wieder der „Mythos Freiburg“ beschworen. Einer liest andächtig aus der Dithmarscher Landeszeitung vor: „Da ist das Aschenputtel, das zur Königin wurde. Da ist der Frosch, der zum Prinzen avancierte. Da ist der ,Dorf-Klub‘, der Europas Großmächte erschrickt. Das ist der SC Freiburg.“

7.500 Zuschauer sind schließlich statt der sonst üblichen 500 da. Man ist erregt, was nicht bedeutet, daß irgend jemand auf die Idee käme, „La Ola“ in Gang zu setzen. Wenn die Heimequipe am Ball ist, bricht schriller kurzer Jubel los, sind knappe „Heide, Tor“- oder „Heide, Heide“-Rufe zu hören.

Zwölf Minuten nach Anpfiff wird es schon still: Andreas Zeyer schießt das erste Freiburger Tor, dem – zeitlich recht gleichmäßig auf neunzig Minuten verteilt – fünf weitere folgen. Keinem bleibt verborgen, daß Freiburg wenig engagiert spielt. „Wenn das der Berti sehen könnte“, bündeln einige ihre Enttäuschung über den vor lauter Dezenz fast unsichtbaren Jörg Heinrich. Die Schmerzen der nicht mehr ganz jungen Heider Spieler (im Schnitt 27) werden erst in der 90. Minute ein wenig gemildert. Heiko Losse schießt das schönste Tor an diesem Tag: Ein 25-Meter- Volley bringt Jörg Schmadtke zum Fliegen und das 1:6.

„War ein ganz gutes Gefühl“, nuschelt der Schütze hernach etwas geknickt unter seinem blonden Schnauzer hervor. Man sieht ihm an, wie wahr die Prophezeiung seines Trainers Bernd Popp geworden ist: „Manch einer wird feststellen, daß ein Bundesliga-Spieler, der gar nicht so bekannt ist, immer noch viel besser ist als man selbst.“

Heider SV-SC Freiburg 1:6 (0:2)

Tore: 0:1 Zeyer (12.), 0:2 Rath (38.), 0:3 Sundermann (47., Foulelfmeter), 0:4 Buric (55.), 0:5 Korrell (64.), 0:6 Wassmer (89.), 1:6 Losse (89.); Zuschauer: 7.500