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„Wir mußten tote Fische von Straße und Strand auflesen“

Matthew Whiting war als Fremdenlegionär Augenzeuge der Atomtests. Die Strafkompanie der Fremdenlegion machte auf Moruroa die Dreckarbeit  ■ Aus London Ulrich Neumann

„Mir wurde sehr bald klar, daß wir hier waren, um die Dreckarbeiten zu machen, wir waren einfach die bösen Jungs, so etwa wie im Film ,Das dreckige Dutzend‘. Deshalb nenne ich die Insel ,die Teufelsinsel‘“, sagt Matthew Whiting, der 1981 und 1982 unfreiwilliger Augenzeuge französischer Atomtests auf dem Moruroa-Atoll im Südpazifik war.

Jahrelang hat er geschwiegen – aus Angst, daß ihm etwas passieren könnte. Wegen der von Frankreichs Präsident Jacques Chirac angekündigten acht weiteren Atomtests auf der Südseeinsel redet der 36jährige Brite jetzt erstmals über seine Zeit auf Moruroa. Er fürchtete aber, sein Leben zu riskieren.

Whiting diente Anfang der 80er Jahre in der Fallschirmabteilung der französischen Fremdenlegion. Weil er einen Offizier tätlich angriff, wurde er strafversetzt. Von November 1981 bis November 1982 leistete er ein Jahr Zwangsarbeit in der Strafkompanie der Fremdenlegion auf der Koralleninsel. Die 100- bis 150-köpfige Strafkompanie war seinen Schilderungen nach eine Truppe, die aus allen Teilen der Welt kam – zum Beispiel Madagaskar, Französisch- Guyana, Zentralafrika. Seine Ankunft auf Moruroa ist dem Briten noch in lebhafter Erinnerung: „Ein Offizier befahl uns anzutreten und sagte: ,Innerhalb des nächsten Jahres haben Sie kein Recht, zu sprechen. Sie haben kein Recht, eine Frage zu stellen.‘ Wir mußten ein ganzes Jahr schweigen, so etwa wie ein nuklearer Mönch. Es war erlaubt, ein kleines Radio zu besitzen und Bilder von der Familie. Es war nicht erlaubt, Briefe zu schreiben oder zu empfangen. Wir mußten allen Befehlen gehorchen. Was für mich das Erschreckendste war, war, daß wir jeden Tag in einer radioaktiven Umgebung lebten und arbeiteten ohne jeden Schutz.“

Von einer Stahlplattform vor der Insel aus beobachtete der Brite in dem einen Jahr etwa 15 Atomtests (s.u.). Gleich nach den Atomtests begann die Schmutzarbeit für die Strafkompanie: „Wenn eine nukleare Explosion beendet war, die Sirene aufgehört hatte zu heulen, erhielten die befehlshabenden Offiziere auf den Plattformen folgende Nachricht: ,Erlaube niemandem, die Plattform zu verlassen!‘ Jeder blieb auf den Plattformen außer den Legionären. Wir mußten die Straße auf der Insel entlang gehen, die toten Fische von der Straße und von dem Sand auflesen.“

Nach Whitings Angaben mußten die Legionäre der Strafkolonie sieben Tage in der Woche arbeiten, manchmal zehn Stunden, manchmal 14 Stunden. Sie hätten Steine gebrochen, Löcher in den Beton gebohrt und Stützstangen hineingestellt, um die Insel zu festigen.

„Wir mußten bei der Arbeit oft ein Seil überqueren mit einer kleinen Stahlplakette dran. Auf der Plakette stand ,Gefahr – Radioaktivität‘. An einem Tag bohrte ich mit einem neuen Bohrer auf der Straße. Ich bohrte fünf Meter tief. Dann sah ich zwei Personen auf mich zukommen. Sie waren von Kopf bis Fuß in die entsprechende militärische Schutzkleidung gehüllt. Ich hatte nur Shorts an, Khaki-Shorts und Khaki-Stiefel. Nichts weiter. Wenn der Bohrer in die Erde drang, wurden Sand und Korallengestein auf die Straße geschleudert. Als ich den Bohrer aus dem Boden zog, wurde ich von Kopf bis Fuß mit Wasser, Sand und Korallengestein überschüttet und das aus einer Tiefe von fünf Metern. In diesem Moment liefen die beiden Wissenschaftler an mir vorbei. Es war gerade kein Offizier in der Nähe und ich fragte sie: ,Wie tief können Sie die Stärke der Radioaktivität messen?‘

Sie hatten eine Krankenhauskrücke dabei, an deren Ende ein Geigerzähler befestigt war. Und sie hatten eine Metallbox an ihrem Körper, mit einem Fenster, das mit Klebeband zugeklebt war. Die Nadel von dem Meßgerät war also bedeckt. Ich fragte noch einmal: ,Wie tief können Sie die Radioaktivität messen?‘ Und er sagte: ,Sieben Zentimeter.‘ Und ich sagte: ,Fuck me! Ich bohre aber fünf Meter tief. Sie können aber nur sieben Zentimeter messen!‘ Darauf antwortete der Mann, ich nehme an, es war ein Mann: ,Sie sind ein Legionär. Sie sollten sich darum gar nicht kümmern!‘“

Die „Wissenschaftler“ hätten über den Vorfall einem Offizier berichtet. Die Folge für den Briten: „Ich wurde gründlich zusammengeschlagen, handelte mir eine gebrochene Nase ein und mußte den Rest der Woche die 14 Kilometer rennend in die Unterkunft jeden Abend in Begleitung der Militärpolizei zurücklegen.“

Insgesamt 187 Atomtests wurden nach Angaben des französischen Verteidigungsministeriums auf Moruroa und der Nachbarinsel Fangataufa durchgeführt. Wissenschaftler aus Australien, Schweden oder Neuseeland beobachteten seit beginn der Tests eine Zunahme von Krebs und Leukämie. Bis 1965, also vor den Atomversuchen, gab es diese Krankheiten auf der Inselgruppe kaum. Nach Recherchen der BBC werden heute pro Jahr 240 Einheimische zur Krebsbehandlung nach Frankreich geflogen. Selbst der auf Tahiti verkaufte Fisch ist aus Frankreich importiert, fanden britische Reporter heraus.

Für Whiting gibt es 14 Jahre nach seinem Aufenthalt nur eine Schlußfolgerung aus dem Gesehenen: „Ich würde gern auf diese Insel zurückgehen und rufen: ,Hört auf mit diesem Nonsens!‘ Und sie würden diese Versuche stoppen.“

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